XVIII
Die Damen waren daheim, ihre Männer nicht. Die Damen langweilten sich. Ich kam daher wie ein Geschenk der Götter, um die noch freie Unterhaltungsnummer nach Tisch zu übernehmen. Wenn ich eine Flöte mitgebracht hätte und ein paar phrygische Schwerttänzer, wäre mir das sicher besser gelungen.
Sooft ich auch ins Haus Hortensius kam, nie wurde ich zweimal im selben Raum empfangen. An diesem Abend zum Beispiel führte man mich in eine aufgemotzte azurblaue Luxussuite, die etwas ungemein Boudoirhaftes hatte. Über jedes Sofa waren sündhaft lässig sündhaft teure Decken drapiert. Darauf türmten sich pralle Kissen in schimmernden Bezügen, aufdringlich mit Fransen und dicken Quasten überladen. Das Zimmer war mit Möbeln vollgestopft: bronzene Beistelltische mit phallischen Satyrn als Sockel; Silberdiwane mit Klauenfüßen; Schildpattvitrinen. In den Vitrinen war ein ganzer Großhandelsposten syrischen Glases ausgestellt (darunter mindestens eine Vase, die man unlängst in der Campagna recycelt hatte), daneben Elfenbeinnippes, eine Kollektion recht hübscher etruskischer Handspiegel und ein übergroßes Gefäß aus purem Gold, dem man nicht ansah, wozu es gut sein mochte; sie nannten es wahrscheinlich eine »Votivschale«, auch wenn es mich eher an den persönlichen Nachttopf eines besonders dicken mazedonischen Königs erinnerte.
Mit ihren rougeüberhauchten Wangen und antimonglänzenden Augen wirkten die beiden Frauen nicht minder aufgetakelt als die Einrichtung des Hauses. Sabina Pollia räkelte sich auf ihrem Sofa mit der Energie eines Salbeistrauchs, der sich zum Herrn eines Kräutergartens aufschwingt. Hortensia Atilia posierte zwar etwas eleganter, hatte aber einen Fuß so hochgestellt, daß ihr nacktes Bein unweigerlich zum Blickfang wurde. So, wie die beiden einander gegenübersaßen, zwischen sich eine große Schale mit Weintrauben, mußte ich unentwegt an Helenas abfällige Bemerkung denken (vermutlich genau das, was sie beabsichtigt hatte). Alle zwei trugen Kleider mit verschwenderischem Faltenwurf, die aber eher fürs flinke Rausschlüpfen entworfen waren, als um die wohlgeformten Körper zu verhüllen. Ich war die ganze Zeit gespannt, welche von Pollias Schulterspangen als erste tiefer an einem reizenden Arm hinunterrutschen würde, als der Anstand erlaubte. Pollia trug Smaragde; Atilia war mit indischen Perlen behängt.
Atilias Sohn, ein ganz normales Kind, war auch da und kniete mit einem Spielzeugesel aus Terrakotta auf dem Marmorboden. Der Junge war etwa acht Jahre alt. Ich zwinkerte ihm zu, und er starrte so unverhohlen feindselig zurück wie jedes Küken, das einen fremden Schnabel im Nest entdeckt.
»Nun, Falco, was bringen Sie uns Schönes?« fragte Pollia.
»Bloß Neuigkeiten«, sagte ich entschuldigend.
Der linke Träger von Pollias karminrotem Abendkleid rutschte so tief, daß sie böse wurde. Also schnippte sie ihn wieder hoch. Das gab der rechten Schulterpasse mehr Spielraum, um reizvoll über ihre Brust herabzugleiten.
»So reden Sie schon!« drängte Hortensia Atilia und wackelte mit den hochgereckten Zehen. Sie zog es vor, ihre Spangen schön in der Mitte ihrer blendenden Schultern zu halten, wie es sich geziemte. Dafür bauschte sich ihr Kleid (ein marineblaues Gewand, das das Klassenziel guten Geschmacks knapp verfehlte) vorn in weitem Bogen, so daß jeder, der hinter ihr stand, ungehindert bis runter zu dem großen braunen Leberfleck, eine Handbreit unterm Brustansatz, gucken konnte: Als üppig bestückte Fruchtbarkeitsgöttin betonte sie trefflich, was Muttergottheiten immer gern zur Schau stellen. (Natürlich blieb ich ungerührt; ich bin ja auch kein religiöser Typ.)
Ohne weitere Vorrede referierte ich meinen beiden Klientinnen, was ich bisher herausgefunden hatte. »Was die Wahrsagerin betrifft, so will ich nicht weiter auf diesen Aberglauben eingehen, aber falls Hortensius Novus für derlei empfänglich ist, sollten Sie es ihm lieber nicht erzählen. Verunsicherung und Nervosität steigern bekanntlich die Unfallgefahr …«
»Als Schuldbeweis taugt das aber noch lange nicht!« befand Pollia eisig. Sie hatte zum Essen reichlich Wein genossen. Jetzt war es an der Zeit, die Messer zu wetzen – es sollte mir an den Kragen gehen, wenn schon nicht an die Wäsche; das sah ich ihr an.
Ich blieb ganz ruhig. »Zugegeben. Aber wenn der Kunde zum Horoskop gleich noch einen Grabstein bestellt, sieht die Sache schon anders aus! So, wie Severina Zotica ihre Hochzeit angeht, würde ich anstelle ihres Verlobten mein Heil in der Flucht suchen.«
»Ja, das glaube ich!«
Der Kleine schmetterte seinen Spielzeugesel gegen das gedrechselte Bein eines Tischchens; seine Mutter sah ihn strafend an und schickte ihn hinaus. »Um dem Mädchen gegenüber fair zu sein«, meinte Atilia, »sollten wir es ihr vielleicht nicht verübeln, wenn sie sicher gehen will, daß ihr früheres Pech sich nicht wiederholen wird. Die Horoskope könnten völlig harmlos sein.« Hortensia Atilia war ohne Zweifel die Großzügigere von den beiden. Und wie alles, was sie im Überfluß besaß, stellte die Dame auch ihre Großzügigkeit ohne falsche Scham zur Schau.
»Als nächstes«, sagte ich, »habe ich vor, Severina persönlich zur Rede zu stellen …«
Atilia und Pollia wechselten einen Blick. Ohne besonderen Grund fiel mir Helenas Befürchtung ein, irgend etwas an diesem Auftrag sei nicht ganz geheuer.
»Das scheint mir ziemlich gewagt.« Atilias schüchterne Miene gab zu verstehen, sie sei eine einfache Blume auf der Suche nach einem männlichen Beschützer, der sie gegen alle Fährnisse auf dem Weidegrund des Lebens verteidigen würde; ich gebärdete mich daraufhin sicherheitshalber wie ein Großstadtgangster, der nur so zum Spaß durch die Wiesen rennt und Margeriten köpft.
»Vielleicht sollten wir noch abwarten«, meinte Pollia und lächelte mich strahlend an. »Finanziell wird es Ihr Schaden nicht sein …«
Jetzt wurde ich erst richtig stutzig. »Sabina Pollia, wir hatten uns doch darauf geeinigt, daß ich herausfinden soll, wieviel diese Brieftaschenbraut verlangt, um Novus freizugeben.«
Pollia zog einen Schmollmund, um anzudeuten, es gäbe noch ganz andere Dinge, auf die wir uns einigen könnten. »Ich wollte ja nur vorschlagen, daß wir uns erst noch mehr Beweise beschaffen. Aber Sie sind der Detektiv, Falco. Sie müssen entscheiden, wann’s Zeit ist, loszuschlagen. Ich bin sicher, Ihr Timing ist unfehlbar …«
Ich lockerte den Kragen meiner Tunika, der mir am Hals klebte. »Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Ich kann Severina auch noch ’ne Weile beschatten. Wenn Sie bereit sind, dafür aufzukommen, werde ich die Dame so lange beobachten, wie Sie wollen …« Ich bin nie in Hochform, wenn die Reichen mich wie einen Spielball behandeln.
Normalerweise hindere ich meine Klienten daran, unnötige Ausgaben zu machen. Aber mit vier leeren Zimmern daheim, die möbliert werden mußten, und bei zwei Dämchen, die es sich locker leisten konnten, ihrer Marionette einen neuen Tisch zu kaufen, nahm ich’s mit meinen moralischen Grundsätzen nicht mehr ganz so genau.
Ich verabschiedete mich eilig. Der kleine Junge saß auf der Treppe vor dem mächtigen Portikus; der finstere Blick, mit dem er zusah, wie ich die polierten Marmorstufen hinuntersprang, spiegelte seine ganze Verachtung wider: Er wußte, daß ich entschieden zu früh gegangen war, um meinen Spaß gehabt zu haben.
Auf dem Heimweg war ich schlechter Laune. Ganz Rom hatte inzwischen zu Abend gegessen, bloß ich nicht. Um diese Tageszeit waren in der Piscina Publica offene Lokale zwar leichter zu finden, sahen aber kein bißchen einladender aus. Ich schlappte weiter und ging meine Mutter besuchen. Mehrere meiner Schwestern waren bei ihr, also ließ ich verlauten, falls irgendeine Möbel hätte, die sie gern loswürde, so wäre ich ein dankbarer Abnehmer. Tatsächlich bot Junia mir ein Bett an. Junia, die sich immer schon für was Besseres hielt, hatte irgendwie einen Mann eingefangen, der fest angestellt war, einen Zollkontrolleur; die beiden behielten nichts länger als zwei Jahre. Normalerweise machte ich einen Bogen um alles, was sie rauswarfen, weil ich mich nicht gern als Parasit fühle, aber für ein anständiges Bett vergaß sogar ich meinen Stolz. Ich hörte voll Freude, daß dieses Schnäppchen, so gut wie neu, meinen Schwager zweihundert Sesterzen gekostet hatte. Wenn schon schnorren, dann, bitteschön, Qualität.
Die Sperrzeit für den Verkehr auf Rädern war inzwischen aufgehoben, und dank meinem Schwager Mico, der irgendwoher einen Karren organisierte, schafften wir das Bett noch am selben Abend fort, ehe Junia es sich anders überlegen konnte. Anschließend klapperten wir die restliche Familie ab und sammelten ein, was die zu stiften hatten: Pfannen mit verbogenen Stielen und Schemel, die nicht mehr auf allen vier Beinen standen. Sowie ich Mico abgewimmelt hatte, vergnügte ich mich damit, meine Wohnung bald so, bald so einzurichten, wie ein kleines Mädchen, das mit seinen Puppenmöbeln spielt. Darüber wurde es sehr spät, aber Mama hatte mir ein paar Lampen geschenkt, und Maia hatte einen halben Krug Öl dazu spendiert; das spritzte zwar ziemlich, erfüllte aber seinen Zweck. Während ich meine neuen Sachen durch die Wohnung zerrte, hämmerten von Zeit zu Zeit andere Mieter an die Wände. Ich klopfte wacker zurück, denn ich bin immer froh über neue Freunde.
Mein neues Bett war prima, nur die Matratze hatte bei Junia noch nicht genug Leben mitgekriegt; man lag darauf wie auf einem Felssims in halber Höhe eines Berghangs. Doch die nächtlichen Abenteuer, auf die ich hoffte, würden bald schon für angenehme Kuhlen sorgen.
XIX
Da meine Klienten nach stichhaltigeren Beweisen verlangten, zog ich in aller Frühe los, ausgerüstet mit dem Namen und der Adresse, die Lusius, der Sekretär des Prätors, mir gegeben hatte: Ich wollte den Doktor befragen, den man zu Severinas zweitem Mann, dem Apotheker, gerufen hatte, um den Totenschein auszustellen.
Der Kurpfuscher war stinksauer über die frühe Störung, aber noch längst nicht so sauer wie ich, als ich merkte, daß der Mann zu nichts zu gebrauchen war. Ihm war mein Frust nichts Neues; vermutlich hatte Lusius ihn bei seiner Vernehmung ebenso barsch abgefertigt.
»Ich hab dem Sekretär bereits alle Fakten genannt, und Fakten verändern sich nicht!« Das setzte voraus, der eingebildete Trottel hätte die Fakten von Anfang an richtig erkannt – woran mir bald schon Zweifel kamen. »Der Apotheker kriegte plötzlich Krämpfe …«
»Waren Sie dabei?«
»Man hat es mir erzählt! Dann rannten seine Diener kopflos davon, während die Gattin alles versuchte, um ihn wiederzubeleben.«
»Ohne Erfolg?«
»Sie kam ja kaum an ihn ran. Der Mann schlug so heftig um sich …«
»Sie meinen …«
»Belehren Sie mich nicht über meine ärztliche Pflicht!« unterbrach er wütend, obgleich meine unausgesprochene Frage völlig devot ausgefallen wäre. »Damit hat mich schon der Schreiberling vom Prätor genug genervt! Der Kerl wollte mir einreden, daß die Frau ihren Mann erstickt haben könnte ….« Demnach war mein Freund Lusius bei seiner früheren Untersuchung gewissenhaft vorgegangen. »Alles Unfug! Die arme Frau war übel zugerichtet und zerkratzt, aber sie hat dennoch ihr Bestes getan. Eprius muß so wild um sich gedroschen haben, daß er sie beinahe bewußtlos geschlagen hätte …«
»Kommt Ihnen das nicht verdächtig vor, ich meine, wenn sie ihm doch helfen wollte?«
»Nicht die Spur! Der Mann wußte ja nicht, was er tat. Es war ein tödlicher Anfall!«
»Versuchen Sie’s doch mal mit einer anderen Version«, beharrte ich. »Severina hatte versucht, ihn zu vergiften. Das Zeug wirkte aber nicht so recht, also preßte sie ihm was aufs Gesicht. Eprius begriff, was sie vorhatte, und wehrte sich …«
»Überflüssige Spekulationen. Ich hab doch das Medikament gefunden, an dem er erstickt ist.«
»Und haben Sie’s aufgehoben?«
»Selbstverständlich«, entgegnete er scharf. »Ich habe es dem Sekretär des Prätors übergeben.«
»Soviel ich weiß, war es eine Hustenpastille. Als Apotheker hätte Eprius doch wissen müssen, wie man so was lutscht! Hatten Sie ihm die Dinger verschrieben?«
»Ich war nicht sein Arzt, und ich bezweifle, ob er überhaupt einen Hausarzt hatte. Seine Arzneien konnte er sich schließlich selbst mischen. An sein Sterbelager wurde ich gerufen, weil ich in der Nähe wohne. Aber Eprius war schon tot, als ich eintraf. Es gab nichts mehr zu tun, außer der Witwe Trost zuzusprechen. Zum Glück wollte ihr zufällig gerade ein Bekannter, ein Freigelassener, seine Aufwartung machen, und so konnte ich sie der Obhut eines Freundes anvertrauen und beruhigt nach Hause gehen …«
»Sie hat’s verkraftet!« versicherte ich. »Binnen eines Monats hat sie wieder geheiratet.«
Der arrogante Esel weigerte sich trotzdem, ein Gegengutachten zu erstellen.
Die Geschichte, die er mir erzählt hatte, war zum Fürchten, doch sie brachte mich keinen Schritt weiter. Angewidert verließ ich sein Haus. Aber ich war nach wie vor entschlossen, Pollia und Atilia zu beweisen, daß ich mir meine Spesen redlich verdiente. Da ich mit dem Perlenverkäufer und dem Apotheker kein Glück gehabt hatte, war der Mensch, der die wilden Tiere importierte, meine letzte Hoffnung.
Ich mietete mir ein Maultier und ritt hinaus in den Nordosten der Stadt. Die Tiere für die Arena waren jenseits der Stadtgrenze, gegenüber der Hauptkaserne der Prätorianer untergebracht. Auf dem Weg zum Bestiarium hörte ich schon von weitem Gebrüll und Trompeten, seltsam befremdliche Töne in nächster Umgebung Roms. Die kaiserliche Menagerie besaß sämtliche Viecher, von denen ich je gehört hatte, und noch eine ganze Menge mehr. Meine ersten Fragen stellte ich, während hinter mir Krokodile in ihren Käfigen das Maul aufrissen, und beinahe jedem, an den ich mich wandte, guckte ein Vogel Strauß über die Schulter. Ringsum entdeckte ich apathische Nashörner, traurige Affen und Leoparden mit glanzlosem Fell. Betreut wurden die Tiere von langhaarigen Kerlen, die genauso mürrisch und unberechenbar aussahen wie sie. Ein beunruhigend säuerlicher Geruch lag über dem Gelände, und zwischen den Käfigen trat man überall in unappetitlichen Morast.
Ich hatte nach Grittius Frontos Neffen gefragt. Man sagte mir, der Neffe sei nach Ägypten zurückgekehrt, aber wenn ich ein ausgefallenes Unterhaltungsprogramm für ein Fest suchte, dann solle ich doch mal mit Thalia reden. Da ich nie weiß, wann es Zeit ist, Reißaus zu nehmen, ließ ich mir den Weg zu einem gestreiften Zelt zeigen. Dort angekommen, schlug ich nicht nur mutig die Eingangsklappe zurück, sondern war auch noch so tollkühn, einzutreten.
»Ooh!« kreischte eine Stimme, mit der man Pflugscharen hätte schleifen können. »Ist scheint’s mein Glückstag heut!«
Sie war ein großes Mädchen. Damit meine ich … ach, nichts. Sie war größer als ich und rundum kräftig gebaut. Als Mädchen durfte man sie dem Alter nach ohne allzu große Respektlosigkeit bezeichnen, und ich sah wohl, daß ihre primären geschlechtsspezifischen Vorzüge in exzellentem Verhältnis zu ihrer Größe standen. Ihr Kostüm entsprach ganz dem, was die Mode diesen Monat für die gutgekleidete Artistin vorschrieb: eine Handvoll Flittersterne, ein paar Straußenfedern (darum also hatten einige der Vögel im Freiluftgehege so beleidigt dreingeschaut), ein knappes, durchsichtiges Hemdchen – und ein Halsband.
Das Halsband hätte man für eine Korallenkette halten können – bis man sah, daß die schimmernden Glieder sich zuweilen mit trägem Charme hin und her schoben. Mitunter rutschte ihr auch ein Ende vom Hals, und sie schob es unwirsch wieder hoch. Das Schmuckstück war eine lebende Schlange.
»Mal was anderes, wie?« Ihre friedliche Miene sprach Bände; mir tat im voraus jede noch so tückische Schlange leid, die sich mit ihr anlegen würde.
»Mit einem solchen Prachtstück vor der Luftröhre dürften Sie kaum Ärger mit den Männern kriegen!«
»Männer machen immer Ärger, Schätzchen!«
Ich lächelte entschuldigend. »Ich bitte nur um ein paar freundliche Worte.«
Sie ließ ein obszönes, gackerndes Lachen hören. »Das sagt ihr Kerle doch alle!« Im nächsten Augenblick sah sie mich an, als ob sie mich bemuttern wolle. Ich erstarrte vor Schreck. »Ich heiße Thalia«, stellte sie sich vor.
»Eine der Grazien!« Dieser Fall kippte allmählich in den Wahnwitz.
»Na, Sie sind mir aber ein Frechdachs! Und wie heißen Sie?« Wider besseren Wissens nannte ich ihr meinen Namen. »Also, Falco? Von daheim weggelaufen, um Löwenbändiger zu werden?«
»Nein, das würde meine Mutter nicht erlauben. Sind Sie ein Schlangenmensch?«
»Jeder würde zum Schlangenmenschen, wenn ihm eine Python dahin kriecht, wo …«
»Sicher!« beteuerte ich hastig.
»Ich bin gelernte Schlangentänzerin«, erklärte sie kühl.
»Verstehe! Und ist das da die Schlange, mit der Sie auftreten?«
»Was denn, die hier? Nein, das ist bloß meine Alltagshalskrause! Die Schlange aus meiner Nummer ist zwanzigmal so lang!«
»Entschuldigen Sie. Ich dachte bloß, Sie wären vielleicht gerade beim Proben.«
Die Schlangentänzerin schnitt eine Grimasse. »Es reicht, wenn ich in der Vorstellung meinen Hals riskiere. Wieso soll ich das auch noch proben?«
Ich grinste. »Irgendwann würde ich mir Ihre Nummer gern mal ansehen.«
Thalia betrachtete mich mit dem ruhigen, klugen Blick, den Leute kriegen, die mit gefährlichen Tieren zusammenleben. Sie war es gewohnt, in mehr als eine Richtung wachsam zu sein. »Was wollen Sie, Falco?«
Ich sagte ihr die Wahrheit. »Ich bin Privatermittler. Ich versuche, einen Mörder zur Strecke zu bringen. Und in dem Zusammenhang wollte ich Sie fragen, ob Sie einen Mann namens Grittius Fronto gekannt haben?«
Thalia rückte ihre Schlange wieder zurecht. »Ich kannte Fronto, ja.«
Sie klopfte auf den freien Platz neben sich auf der Bank. Da sie mir nicht unfreundlich vorkam (und die Schlange zu schlafen schien), wagte ich die Annäherung. »Ich habe mit dem Sekretär des Prätors gesprochen, der Frontos Tod untersucht hat – ein gewisser Lusius. Hat der auch Sie befragt?«
»Wer traut schon einer Frau mit ungewöhnlichen Schlangennummern?«
»Ich bitte Sie! Welch törichtes Vorurteil!« (Der Moment schien mir passend, den Kavalier herauszukehren.)
Sie nickte. Und ich sah ihr an, daß sie ernstlich deprimiert war. »Für manche Männer hat die Gefahr auch ihren Reiz – als Fronto starb, hatte ich gerade ein Fiasko mit einem unsicheren Seiltänzer, der vor lauter Kurzsichtigkeit nicht mal die eigenen Eier sehen konnte!«
Ich bemühte mich um einen teilnahmsvoll gedämpften Ton. »Wurde bei dem Unfall damals nicht auch ein Seiltänzer übel zugerichtet?«
»Er wäre nie wieder der alte geworden – aber ich hab ihn durchgebracht.«
»Und? Sind Sie noch mit ihm zusammen?«
»Nein! Er hat sich ’ne Erkältung geholt und ist dran gestorben. Ach, die Männer sind ja so was von gemein!«
Inzwischen hatte sich die Schlange entwirrt und bekundete erschreckend lebhaftes Interesse an meinem Gesicht. Ich versuchte, mich nicht zu rühren. Thalia packte sie sich wieder um den Hals – zweimal – und klemmte dann Kopf und Schwanz schön ordentlich unter ihrem üppigen Kinn fest. Ich war zu schwach zum Sprechen, aber Thalia legte auch ohne Stichwort los. »Fronto war im Importhandel, hatte ein seit Jahren gut eingeführtes Geschäft. Aber die schwere Arbeit machte sein Neffe. Der hat die Tiere in Afrika und Indien aufgespürt, sie eingefangen und nach Hause verschifft. Der Arenakampf hatte seine beste Zeit ja unter Nero, aber selbst während der Unruhen gab’s noch Käufer wie mich – und jede Menge Privatkunden, die exotische Tiere wollten, um sie auf ihren Gütern zur Schau zu stellen.«
Ich nickte. Rom hatte das Seine getan, um die unwirtlichen Provinzen von gefährlichem Getier zu befreien: Tiger aus Indien und dem Kaukasus abgezogen; ganze Herden schädlicher Elefanten aus Mauretanien weggeschafft. Wahrscheinlich verhielt es sich mit den Schlangen genauso.
»Was wollen Sie wissen?« fragte Thalia, plötzlich wieder auf der Hut.
»Erzählen Sie mir einfach alles, was mit dem Fall in Zusammenhang stehen könnte. Haben Sie eigentlich Frontos Frau gekannt?«
»Bin ihr nie begegnet. Hatte auch keine Lust, sie kennenzulernen. Mir war klar, daß von der nur Ärger kommt! Fronto dachte genauso, das spürte man. Er hat sie in nichts eingeweiht. Hat ihr nicht mal verraten, daß er einen Neffen hatte. Haben Sie das gewußt?«
»Eher geahnt. Aber was genau ist damals eigentlich passiert? Mir hat man erzählt, ein Panther hätte Fronto und den Seiltänzer eine Hebebühne hochgejagt.«
»Also, das ist schon mal faustdick gelogen!« rief Thalia empört.
»Wie meinen Sie?«
»Na, der Unfall war doch in Neros Circus!«
Plötzlich begriff ich; im Gegensatz zum mehrstöckigen Amphitheater verfügen die Rennsportstadien nur über ein planes Geläuf. »Keine Kellergewölbe? Überhaupt keine Unterbauten – und folglich auch keine Vorrichtung zum Transport der Käfige?«
Thalia nickte. Ich wünschte, sie hätte das nicht getan; es irritierte die Schlange. Jedesmal, wenn Thalia sich bewegte, reckte das Biest den Kopf und fing an zu kontrollieren, ob ich gut rasiert sei oder Nissen hinter den Ohren hätte. »Demnach hat so ein Tolpatsch von Ädil das Unfallprotokoll geschrieben, ohne sich den Tatort anzusehen?«
»So muß es wohl gewesen sein.«
Das war eine gute Nachricht, denn sie ließ auf bisher unentdeckte Beweise hoffen. »Waren Sie am Unfallort?« Thalia nickte. Ihr neugieriges Schmusetier seilte sich ab. Sie zurrte es wieder fest. »Wie hat sich’s also abgespielt?«
»Das passierte gleich hinter den Startgattern. Fronto hatte für die Pause vor dem Auftritt der Wagenlenker ein paar Tiere besorgt – für eine Scheinjagd. Sie wissen schon! Berittene Bogenschützen galoppieren hinter allem Gefleckten und Gestreiften in der Manege her. Hat man einen sehr müden, zahnlosen alten Löwen bei der Hand, dann läßt man vielleicht sogar ein paar Aristokratensöhnchen eine Runde drehen …«
»War der Panther müde und zahnlos?«
»Aber nein!« rief Thalia vorwurfsvoll. »Dieser Panther ist ein echtes Schmuckstück, ein wunderschönes Tier. Wenn Sie wollen, können Sie ihn sich ansehen. Frontos Neffe hat ihn damals behalten – aus Respekt, wissen Sie, für den Fall, daß er noch was von seinem Onkel intus hatte. Die Beisetzung war nämlich sehr schwierig, Falco …«
»Ich glaube nicht, daß ich mir den Panther ansehen muß. Er würde wohl kaum mit mir sprechen, und selbst wenn – kein Gericht würde seine Aussage gelten lassen! Also, was ist damals passiert?«
»Jemand hat ihn rausgelassen.«
»Sie meinen – mit Absicht?«
»Hören Sie, Falco, die Käfige für Neros Circus kommen aus allen Teilen der Stadt und werden vorsichtshalber nachts transportiert, aber es würde trotzdem Aufruhr geben, wenn auch nur ein klitzekleiner Löwe freikäme!« Ich hatte solche Spezialkäfige für den Transport wilder Tiere natürlich schon gesehen – gerade groß genug für die Insassen und maßgerecht für die Aufzüge im Amphitheater. Die Deckplatte hatte ein Sicherheitsscharnier. »Fronto nahm es mit seinen Tieren sehr genau; er hatte ja auch genug Geld in dieses Geschäft gesteckt! Vor jedem Transport überprüfte er persönlich die Schlösser und kontrollierte sie noch mal, während die Tiere auf ihren Auftritt warteten. Der Panther kann unmöglich aus Versehen freigekommen sein.«
»Aber irgendwann mußte man die Käfige doch aufschließen?«
»Erst unmittelbar vor der Nummer. Und dann war Fronto immer dabei und paßte auf, daß alles glattging. In einer Arena zum Beispiel ließ er immer erst aufschließen, wenn die Käfige schon im Lastenaufzug waren. Vor dem Auftritt brauchten die Sklaven dann nur noch einen Gleitschnäpper am Deckel zurückzuschieben.«
»Aber an dem fraglichen Tag im Circus ging man anders vor?«
»Ja. Da kamen die Käfige für die Scheinjagd in die Wagenboxen; die Tiere sollten durch die Startgatter auf die Bahn gelassen werden. Nachdem sie die Nacht über eingesperrt waren, freuten sie sich natürlich auf den ersehnten Auslauf und wären munter mitten in den Circus reingerannt, der mit nachgemachten Bäumen wie ein richtiger Wald aussah – zu schön war das! Ja, und dann sollten gleich anschließend die Jäger einreiten …«
»Schenken wir uns die Staffage! Was geschah am Startgatter?«
»Irgendwer hatte den Panther zu früh rausgelassen. Fronto und mein Seiltänzer waren in einer der Wagenbahnen. Sie versuchten, durch die Startgatter zu entkommen – aber die waren noch mit fest verknoteten Seilen gesperrt. Die beiden saßen also in der Falle. Ich bin mit ein paar Männern losgerannt, um sie zu befreien, aber es war schon zu spät. Wir sahen gerade noch, wie der Panther den Hauptgang beendete und sich an den Nachtisch machen wollte. Mein Seiltänzer flüchtete sich im letzten Moment in den offenen Käfig und klappte den Deckel runter – wie ein Liebhaber, der sich in der Wäschetruhe versteckt. So kam er mit dem Leben davon.«
»O Jupiter!«
»Sie dürfen’s dem Panther nicht verübeln«, mahnte Thalia gutmütig. »Der war einfach hungrig. Und außerdem hatten wir den Verdacht, daß ihn jemand gereizt hatte!«
»Genau das ist für meine Ermittlungen entscheidend!« versetzte ich gelassener, als mir zumute war. »Wer hat das Tier wild gemacht – und wer hat es aus dem Käfig gelassen?«
Thalia seufzte. Bei einem Mädchen ihrer Statur macht so ein Seufzer eine ziemlich Bö. Die Schlange schob Kopf und Hals ein Stück vor und blickte sie vorwurfsvoll an. Thalia stopfte sich den Kopf ihres Lieblings zwischen die Brüste; die höchste Strafe (oder vielleicht auch Wonne). »Wir hatten da einen Tierpfleger«, sagte sie versonnen. »Einen Tierpfleger, den ich nie leiden mochte.«
XX
Ich beugte mich vor – sogar Thalias Halsband war jetzt vergessen. »Ob ich diesen Tierpfleger wohl finden könnte?«
»Glauben Sie denn, das hätte Frontos Neffe nicht schon versucht? Warum hat der wohl seine Nachforschungen eingestellt?«
»Sagen Sie’s mir.«
»Weil der Pfleger tot ist. Verunglückt.«
»Wie ist das passiert?«
»Er ging an einem baufälligen Haus vorbei. Eine Mauer stürzte ein und hat ihn unter sich begraben.«
»Und Sie sind sicher, daß es ein Unfall war?«
»Frontos Neffe war davon überzeugt. Das ganze Viertel empörte sich darüber, daß das Haus dermaßen verrottet war. Aber da sich kein Angehöriger des Tierpflegers meldete, konnte auch niemand den Besitzer zur Verantwortung ziehen. Frontos Neffe hatte eine Stinkwut, weil er die Witwe seines Onkels laufenlassen mußte, da offenbar ein Fremder Frontos Tod verschuldet hatte. Aber es war nun einmal so, daß die Wachen den Leichnam des Pflegers anhand eines Schlüssels identifizierten, auf dem Frontos Name stand – und das war der fehlende Schlüssel zum Pantherkäfig.«
»Und was hatte der Mann gegen Fronto?«
»Das haben wir nie erfahren. Er war erst ein paar Wochen bei uns und hatte anscheinend keine Familie. Wir kriegen oft solche Aushilfen auf Zeit.«
»Und wie hieß der Mann?«
»Gaius.«
»Na wunderbar!« Mehr als fünfzig Prozent der männlichen Bevölkerung Roms hört auf den Namen Gaius. Und von den übrigen heißen die meisten Marcus oder Lucius; das kann einem Ermittler schon das Leben sauer machen. »Haben Sie nichts Besseres zu bieten?«
»Er hatte wohl noch einen anderen Namen. Aber sooft ich mir schon den Kopf zerbrochen habe, ich kann mich einfach nicht darauf besinnen. Fronto war der einzige, der’s gewußt hätte.«
Ich stellte der Schlangenfrau noch ein paar Fragen, aber sie hatte nichts Wichtiges mehr beizusteuern, versprach allerdings, daß sie weiter versuchen würde, sich an den Familiennamen des Tierpflegers zu erinnern. Ganz benommen verließ ich die Menagerie.
Die Frühschicht hatte zwar wenig konkrete Beweise erbracht, aber ich hatte nun ein so lebhaftes Bild davon, wie Eprius und Fronto zu Tode gekommen waren, daß ich meinen alten Posten auf dem Caelimontium in ungewöhnlich gedrückter Stimmung bezog.
Die Abakusstraße war wie ein Backofen; uns stand ein glühendheißer Tag bevor. Kaum, daß ein Eimer Wasser drüberschwappte, schon war das Pflaster wieder trocken, und der kleine Singfink vom Schlosser hatte bereits ein Tuch überm Käfig, um sein gefiedertes Köpfchen vor der Sonne zu schützen. Als ich zum Speisehaus kam, winkte ich dem Wirt von draußen; er kannte inzwischen meine Bestellung, also blieb ich, zumal ich drinnen an der Theke jemanden stehen sah, gleich auf der Terrasse, um mir den einzigen Tisch im Schatten zu sichern.
Ich wartete darauf, daß der Wirt mir den Wein anwärmte. Es war ein angenehmer Morgen (falls man derjenige mit dem Tisch im Schatten war), und ich war ziemlich sicher, daß Severina sich frühestens in ein paar Stunden blicken lassen würde. Froh darüber, für so leichte Arbeit so gut bezahlt zu werden, verschränkte ich die Hände hinterm Kopf und streckte mich genüßlich.
Ich hörte, wie jemand aus dem Lokal trat, und dachte, es wäre der Kellner. Aber in diesem Irrtum sollte ich nicht lange verharren. Als ich die Arme sinken ließ, glitt blitzschnell die Schlinge eines starken Hanfseils darüber und preßte sie mir an den Körper. Die Schlinge wurde festgezurrt, und meinen Schreckensschrei dämpfte ein großer Sack, den man mir hurtig von hinten über den Kopf stülpte.
Ich bäumte mich brüllend auf, spürte, wie die Bank unter mir umstürzte, und wußte doch kaum, wie mir geschah. Im Sack hing ein merkwürdiger, erstickender Geruch, und so, wie man mich überrumpelt hatte, war jede Gegenwehr zwecklos. Meine Angreifer stießen mich brutal mit dem Gesicht auf den Tisch. Mit einem instinktiven Ruck zur Seite konnte ich gerade noch verhüten, daß sie mir die Nase brachen, aber dafür steckte ich einen Hieb ein, von dem mir die Ohren dröhnten. Ich keilte nach hinten aus, fand ein weiches Ziel, wiederholte das Manöver, traf aber diesmal nur die Luft. Immer noch flach auf den Tisch gepreßt, versuchte ich, seitlich auszuschlagen. Grobe Hände packten mich; als ich in die Gegenrichtung auswich, nahm ich zuviel Schwung und fiel von der Tischkante.
Mir blieb keine Zeit, mich zu orientieren. Der Feind hatte seine eigenen Vorstellungen davon, wo ich hin sollte, und zwar auf dem Rücken, in raschem Tempo gezogen, die Füße voran. Ich wußte, daß es sinnlos war, von Passanten Beistand zu erwarten.
Ich war hilflos. Die Schurken hatten mich jeder an einem Bein gepackt – gefährlich, sollten sie einem Laternenpfahl mal nicht in derselben Richtung ausweichen! Mir tat jetzt schon alles weh. Wenn ich weiter Widerstand leistete, würde das die Schmerzen nur verschlimmern. Also ließ ich mich durchhängen und ihnen ihren Willen.
Die Bordsteinkanten waren kein allzu großes Problem; nach der ersten wappnete ich mich, indem ich das Rückgrat durchbog. Auch der Sack bot ein klein wenig Schutz, aber einmal kriegte doch der oberste Halswirbel einen solchen Bums ab, daß ich mir vorkam wie ein Hähnchen beim Ausnehmen. Und eine Holperpartie über Lavabrocken tat meinem Kopf natürlich auch nicht sonderlich gut.
Ich wußte, daß wir irgendwo abgebogen sein mußten, weil ich mit der Hüfte gegen eine Mauerecke geprallt war und mir unter dem Sack die Haut abgeschürft hatte. Wir kamen in kühlere Gefilde: also weg von der Straße.
An einer Türschwelle schrammte ich mir jeden einzelnen Rückenwirbel und schließlich auch den Schädel. Wieder Richtungswechsel, wieder Püffe. Endlich knallte ich der Länge nach hin. Sie hatten mich fallenlassen. Ich lag still und labte mich an der Ruhe, solange es ging. Jetzt erkannte ich auch den Geruch: Lanolin. Ich war in einem Sack verschnürt, in dem früher ungesponnene Wolle gelegen hatte – ein so beunruhigender Anhaltspunkt, daß ich ihn rasch wieder verdrängte.
Ich lauschte. Ich war in einem Haus, und zwar nicht allein. Ich hörte, wie sich etwas bewegte, das aber nicht zu identifizieren war; dann ein Klacken, wie wenn große Kiesel aufeinandertreffen.
»Schön.« Eine Frau. Verstimmt, aber nicht ernstlich aus der Ruhe gebracht. »Laßt ihn raus, und dann wollen wir ihn uns mal ansehen.« Ich strampelte wütend. »Vorsichtig! Sonst ruiniert er mir noch den guten Sack …«
Den stämmigen Sklaven, der mich mit seinen Riesenpranken aus dem Hopfensack schälte, erkannte ich wieder. Und dann löste sich auch das Rätsel des klackenden Geräuschs: Es waren große runde Terrakottagewichte, die die Kettfaden eines Webstuhls straff hielten und bei jedem Schlag mit dem Picker gegeneinanderprallten. Sie hatte gerade den Webschützen durchs Fach geführt und drückte nun mit dem Webeblatt den Stoffrand fest. Ich hatte sie noch nie ohne Kopfbedeckung gesehen, aber ich erkannte sie trotzdem.
Soviel zu meinen ausgebufften Profimethoden: Ich hatte mich am hellichten Tag von Severina Zotica entführen lassen.
XXI
Das rote Haar war von der ingwerfarbenen, krausen Sorte: rot genug, um aufzufallen, aber doch nicht zu grell. Nervöse Jungstiere würde es beispielsweise nicht scheu machen – und mir machte es auch keine Angst. Zu den roten Locken gehörten ein blasser Teint, unsichtbare Wimpern und Augen von Spülwasserfarbe. Das Haar war zurückgekämmt, um die Stirn zu betonen, eine Frisur, die ihr etwas Kindliches hätte geben sollen, was freilich nicht gelang, da ihre Züge deutlich verrieten, daß Severina Zotica die Kindheit rascher abgeschüttelt hatte, als ihr guttat. Dem Aussehen nach hätte sie in Helenas Alter sein können, aber ich wußte, daß sie um etliche Jahre jünger war. Sie hatte die Augen einer Hexe, einer alten Hexe.
»Sie werden sich noch den Pips holen«, sagte sie spitz, »wenn Sie den ganzen Tag da draußen im Schatten hocken.«
Ich bewegte vorsichtig die Glieder, um festzustellen, ob etwas gebrochen war. »Versuchen Sie’s beim nächsten Mal schlicht mit ’ner Einladung, wenn Sie wollen, daß ich ins Haus komme.«
»Würden Sie denn annehmen?«
»Ich lerne immer gern ein Mädchen kennen, das sich erfolgreich nach oben geboxt hat.«
Sie trug eine silbriggrüne Tunika mit Ärmeln, ein Gewand, das ebenso schlicht wie geschmackvoll war. Sie hatte offenbar einen Blick für Farben: Die Arbeit auf ihrem Webstuhl war eine gelungene Komposition aus Bernstein-, Weizen- und Rosttönen. Von den hellen Safranwänden ihres Zimmers hoben sich die farbenfrohen Stuhlkissen und Türvorhänge wirkungsvoll ab, und der hochflorige Teppich unter meinen Füßen leuchtete feuerrot, braun und schwarz. Mir schmerzten so viele Knochen im Leib, daß ich beim Anblick des Teppichs nur denken konnte, wie schön es doch wäre, sich der Länge nach darauf auszustrecken.
Ich tastete meinen Hinterkopf ab und fand Blut im Haar. Unter der Tunika tröpfelte es kläglich aus der unverheilten Wunde von meiner letzten Mission. »Ihre Muskelprotze haben mich wüst zugerichtet. Falls das hier eine längere Unterhaltung werden sollte, könnte mir dann einer von ihnen vielleicht einen Stuhl bringen?«
»Holen Sie sich selbst einen!« Sie winkte ihren Sklaven, sich zu entfernen. Ich verschränkte die Arme, rief meine Beine zur Ordnung und blieb stehen. »Zäh, was?« spottete sie.
Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, hielt den Kopf über den Webstuhl gebeugt und tat so, als beachte sie mich kaum, doch in Wahrheit ließ sie mich nicht aus den Augen. Das Klappern des Schiffchens strapazierte meine empfindlichen Nerven. »Gnädigste, könnten Sie bitte damit aufhören, solange Sie mit mir sprechen?«
»Das Reden können Sie übernehmen.« Sie preßte zornig die Lippen zusammen, auch wenn ihre Stimme ruhig geblieben war. »Schließlich haben Sie mir einiges zu erklären. Die ganze Woche schon beobachten Sie mein Haus und folgen mir unverschämt auffällig. Und von einem meiner Mieter erfahre ich, daß Sie in der Subura waren und sich dreist nach meinem Privatleben erkundigt haben …«
»Woran Sie ja wohl gewöhnt sein dürften! Im übrigen folge ich Ihnen keineswegs überall hin. Die Pantomime zum Beispiel habe ich ausgelassen, weil ich sie schon kannte. Das Orchester war mies, das Stück nicht zum Aushalten und der Hauptdarsteller ein alter Fettwanst mit Glatze und Glotzaugen, der vor lauter Zipperlein gar nicht erst in Schwung kam!«
»Mir hat’s gefallen.«
»Eigenwilliger Geschmack, hm?«
»Ich bilde mir mein eigenes Urteil – haben Sie übrigens auch einen Namen?«
»Didius Falco.«
»Ein Schnüffler?«
»Sie sagen es.«
»Aber Sie haben die Stirn, mich zu verachten!« Nun war ich zwar nicht so ein jämmerlicher Wurm, der Senatoren belauscht, um dann deren schlüpfrige Geheimnisse an Anacrites, den Oberspion vom Palast, oder gar an die frustrierten Ehefrauen der Betroffenen zu verhökern, aber ich ließ ihr die Beleidigung trotzdem durchgehen. »Also, Falco, wer hat Sie engagiert, um mich zu bespitzeln?«
»Die Familie Ihres Verlobten. Nehmen Sie’s ihnen nicht übel.«
»Aber nein!« gab Severina scharf zurück. »Die Herrschaften und ich, wir werden uns in Kürze einigen. Sie wollen nur sein Bestes. Genau wie ich.«
»Verliebt?« erkundigte ich mich sarkastisch.
»Was glauben Sie?«
»Nicht die Bohne! Und er?«
»Ich bezweifle es.«
»Das nenn ich aufrichtig!«
»Novus und ich, wir denken praktisch. Und romantische Liebe ist oft sehr kurzlebig.«
Ich hätte trotzdem gern gewußt, ob es Hortensius Novus stärker erwischt hatte als sie. Ein Mann, der bis ins reife Alter Junggeselle geblieben ist, redet sich in der Regel gern ein, es gäbe einen besonderen Grund, nun doch auf seine Freiheit zu verzichten. Severina wirkte abgebrüht und geschäftsmäßig, aber in seiner Gegenwart ließ sie sich das vermutlich nicht anmerken, so daß der arme Novus sich womöglich der trügerischen Hoffnung hingab, er hätte ein sittsames Mädchen gefreit.
Als sie einen neuen Strang Wolle aus dem Korb neben sich fischte, hob Severina den Kopf und sah mich forschend an. Ich versuchte immer noch rauszukriegen, warum sie wohl heute die Initiative ergriffen hatte. Vielleicht war sie’s einfach leid gewesen, dauernd beschattet zu werden. Und doch spürte ich, daß sie eigentlich ganz gern mit dem Feuer spielte.
Sie richtete sich auf und stützte das Kinn auf schlanke, weiße Finger. »Sagen Sie ruhig frei heraus, was der Familie Sorgen macht«, forderte sich mich auf. »Ich habe nichts zu verbergen.«
»Die Sorgen meiner Klienten, junge Dame, sind leicht zu verstehen: Ihre schmutzige Vergangenheit, Ihre gegenwärtigen Motive und Ihre Zukunftspläne.«
»Sie wissen doch bestimmt«, versetzte Severina, immer noch gelassen, aber mit einem Glitzern in den Augen, das mir Hoffnung gab, »wie gründlich meine Vergangenheit durchleuchtet wurde.«
»Von einem aufgeblasenen alten Prätor, der zu dumm war, um auf seinen außerordentlich tüchtigen Sekretär zu hören.« In dem Blick, den sie mir zuwarf, lagen entweder aufkeimender Respekt oder wachsende Abneigung. »Ich vermute, der Sekretär fand Gefallen an Ihnen – und machte daraus nicht unbedingt ein Geheimnis«, ergänzte ich, denn meiner Erinnerung nach war Lusius ein Mann, der frei heraus sagte, was er dachte. »Oder wie war Ihr Eindruck?«
Severina schien sich über die Frage zu amüsieren, brachte aber doch eine damenhafte Antwort zustande. »Ich hab nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen!«
»Das ist gelogen, Zotica! Nun, noch bin ich unparteiisch und neutral. Also schlage ich vor, Sie flüstern mir die wahre Geschichte ins geneigte Ohr. Fangen wir doch gleich mit Ihrem ersten Streich an. Sie wurden als Kind vom Sklavenmarkt in Delos weg verkauft und landeten nach allerlei Umwegen in Rom. Hier heirateten Sie Ihren Herrn. Wie haben Sie das gedeichselt?«
»Ohne Tricks, da können Sie sicher sein. Moscus kaufte mich, weil ich ihm gelehrig vorkam. Er suchte jemanden, den er zum Verwalter ausbilden konnte …«
»Ein guter Blick für Zahlen kommt Ihnen jetzt, als reiche Witwe, gewiß sehr zustatten!«
Ich sah, wie sie tief durchatmete, aber es gelang mir nicht, die Zornesflamme zu entfachen, auf die ich so gehofft hatte. Rothaarige lassen sich eben nicht in die Karten gucken – unter solchen Kupferlocken wurde schon der Sturz von Weltreichen ausgebrütet. Ich konnte mir gut vorstellen, daß eine Frau wie Severina noch Jahre nach einer vermeintlichen Kränkung auf Rache sinnen würde. »Severus Moscus hat mich nie angerührt, aber als ich sechzehn wurde, bat er mich, ihn zu heiraten. Vielleicht weil er mich nie mißbraucht hatte – im Gegensatz zu anderen –, willigte ich ein. Warum auch nicht? Sein Laden war das beste Zuhause, das ich je gehabt hatte. Und durch die Heirat gewann ich meine Freiheit. Die meisten Ehen sind mehr oder minder ein Geschäft; niemand kann mir vorwerfen, daß auch ich meine Chance genutzt habe.« Sie hatte eine interessante Art, beide Standpunkte einer Diskussion vorwegzunehmen. Wenn sie allein war, redete sie vermutlich laut mit sich selbst.
»Was fiel bei diesem Handel für ihn ab?«
»Jugend. Gesellschaft.«
»Unschuld?« neckte ich.
Das brachte sie endlich doch in Wallung. »Eine treue Frau und ein Haus, in das er seine Freunde ungeniert heimbringen konnte! Wie viele Männer können so viel vorweisen? Haben Sie das – oder sitzt bei Ihnen daheim eine billige Schlampe, die mit Ihnen rumbrüllt, wenn Sie sich mal verspäten?« Ich antwortete nicht. Severina fuhr mit leiser, zorniger Stimme fort: »Er war schon ein alter Mann. Seine Kräfte ließen nach. Ich war ihm eine gute Frau, solange ich konnte, aber wir wußten beide, daß es wahrscheinlich keine lange Ehe werden würde.«
»Sie haben sich also um ihn gekümmert, wie?«
Ihre unbewegte Miene tadelte meinen hinterhältigen Ton. »Keiner meiner Ehemänner, Didius Falco, hatte Grund zur Klage.«
»Durch und durch ein Profi!« Sie trug den Spott mit Fassung. Ich sah sie prüfend an. Bei ihrer blassen Haut, der fast zerbrechlichen Gestalt und ihrem beherrschten Wesen konnte man sich unmöglich vorstellen, wie sie im Bett sein mochte. Aber ein Mann auf der Suche nach Geborgenheit konnte sich wohl leicht einreden, daß sie fügsam sei. »Haben Sie Moscus an seinem letzten Tag ins Amphitheater geschickt?«
»Ich wußte, daß er hin wollte, ja.«
»Und wußten Sie auch, wie heiß es war? War Ihnen je der Verdacht gekommen, daß er ein schwaches Herz hatte? Haben Sie versucht, ihm das Theater auszureden?«
»Ich bin keine Xanthippe.«
»Also ist Moscus übergekocht, und Sie haben seelenruhig den Schaum von der Herdbank gewischt und einen frischen Topf aufs Feuer gerückt! Wo haben Sie Eprius, den Apotheker, eigentlich gefunden?«
»Er war’s, der mich fand.« Sie legte sich zuviel Selbstbeherrschung auf. Eine Unschuldige hätte mich inzwischen längst aufs wüsteste beschimpft. »Als Moscus im Theater zusammengebrochen war, lief jemand in seine Apotheke nach einem Stärkungsmittel – vergebens. Moscus war bereits zu den Göttern heimgegangen. Das Leben kann grausam sein: Während ich noch um meinen Mann trauerte, kam Eprius, um für seine Arznei zu kassieren.«
»Aber Sie haben Ihren Gläubiger bald um den Finger gewickelt!« Severina war so anständig, sich ein kleines Lächeln zu gestatten, und ich merkte, daß ihr das Antwortzucken um meine Lippen nicht entging. »Wie ging’s weiter – Eprius ist erstickt, oder?« Sie nickte. Die emsigen Hände hielten den Webstuhl in Gang, und in mir erlosch jede Anwandlung von Mitgefühl. Ich stellte mir nämlich gerade vor, wie dieselben kleinen Hände sich anstrengten, dem Apotheker in seinem Todeskampf die Luft abzudrücken. »Waren Sie im Haus, als es passierte?«
»In einem anderen Zimmer, ja.« Ich beobachtete, wie sie sich innerlich auf die neue Fragetaktik einstellte. Sie hatte diese Geschichte schon viel zu oft geprobt, als daß ich sie hätte in Verlegenheit bringen können. »Als sie mich holten, war er bereits bewußtlos. Ich tat, was ich konnte, um ihn wieder zum Atmen zu bringen; die meisten Frauen wären an meiner Stelle in Panik geraten. Die Pastille hatte sich ganz tief im Schlund festgeklemmt. Ein Arzt fand sie später, und ich muß gestehen, daß meine Wiederbelebungsversuche versagt haben; ich bin wohl zu aufgeregt und verzweifelt gewesen. Ich habe mir deswegen genug Vorwürfe gemacht – aber man kann das, was geschah, trotzdem nur als Unfall ansehen.«
»Er hatte also Husten, wie?« fragte ich feixend.
»Ja.«
»Schon lange?«
»Wir wohnten auf dem Esquilin.« Als ungesunde Gegend wohlbekannt. Sie suchte sich wirklich überzeugende Mordmethoden aus.
»Wer gab ihm das Mentholbonbon?«
»Das hat er sich wohl selbst verschrieben! Er hatte immer ein Specksteinkästchen voll davon auf Vorrat. Ich hab ihn zwar nie eins nehmen sehen, aber er sagte mir mal, die wären gegen seinen Husten.«
»Haben Sie sich in seiner Apotheke nützlich gemacht? Eine gescheite und hilfsbereite Partnerin wie Sie – ich wette, als er Ihnen den Brautkranz brachte, haben Sie gleich als erstes angeboten, seine Rezepte zu überprüfen und mit den Giftvorräten abzustimmen … Was passierte mit Grittius Fronto?«
Diesmal schauderte sie. »Das werden Sie ja wissen! Ein wildes Tier hat ihn gefressen. Und bevor Sie fragen: Nein, ich hatte nichts mit seinen Geschäften zu tun. Ich bin nie in der Arena gewesen, in der das Unglück geschah, und ich war weder dabei noch in der Nähe, als Fronto starb.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hörte, es sei ein sehr blutiges Schauspiel gewesen!«
Severina sagte nichts. Ihr Gesicht war von Natur aus so bleich, daß sich unmöglich feststellen ließ, ob sie jetzt wirklich außer Fassung geraten war. Aber mein Urteil stand fest.
Sie hatte zu viele plausible Antworten parat. Ich versuchte es zur Abwechslung mal mit einem Kalauer: »Ach, und den Panther haben Sie auch nicht gekannt?«
Unsere Blicke trafen sich. Ich spürte, wie ein Funke übersprang.
Offenbar hatte ich ihr Selbstbewußtsein nun doch erschüttert. Severina musterte mich jetzt sehr viel aufmerksamer. »Sie müssen eine Menge Mut haben«, sagte ich, »wenn Sie sich trauen, Ihren feuerroten Schleier über eine weitere Hochzeit zu spannen.«
»Es ist guter Stoff; ich hab ihn selbst gewebt!« Sie hatte sich wieder gefangen. Selbstironie ließ die kalten grauen Augen recht reizvoll aufleuchten. »Alleinstehende Frauen ohne Beschützer«, fuhr sie melancholisch fort, »haben ein ziemlich eingeschränktes Gesellschaftsleben.«
»Wie wahr – und bestimmt ist es schrecklich für so ein geborenes Hausmütterchen, wenn niemand mehr da ist, dem sie ein gemütliches Heim bereiten kann …«
Wenn ich nicht so viele abstoßende Details über das traurige Ende ihrer diversen Ehemänner gehört hätte, dann wäre ich ihr womöglich selbst auf den Leim gegangen. Ich hatte eine Art Partylöwin erwartet, eben einen richtigen Vamp. Und mir schauderte bei dem Gedanken, daß Severinas unauffälliger, biederbürgerlicher Lebensstil bloß eine Fassade war, hinter der sie ungestört ihre gemeinen Ränke schmieden konnte. Mädchen, die weben und in Bibliotheken gehen, hält man im allgemeinen für ungefährlich. »Bestimmt waren Sie hocherfreut, eine Astrologin gefunden zu haben, die Ihnen prophezeit, daß Ihr nächster Gatte Sie überleben wird.«
»Hat Tyche Ihnen das gesagt?«
»Als ob Sie das nicht wüßten! Haben Sie ihr gesteckt, daß ich kommen und Ihnen nachspionieren würde? Sie schien mir erstaunlich gut präpariert!«
»Wir berufstätigen Frauen halten eben zusammen«, erwiderte Severina so gelassen, daß ich mich gleich an Tyches Tonfall erinnert fühlte. »Sind Sie jetzt fertig, Falco? Ich habe nämlich heute noch allerhand vor.« Ich war enttäuscht, daß sie die Unterhaltung so abrupt beendete. Dann sah ich, wie sie zögerte. War es ein Fehler, mich so rasch abzuwimmeln? Ich hatte sie also doch nicht umsonst in die Mangel genommen. Ziemlich matt setzte sie hinzu: »Oder wollten Sie sonst noch was wissen?«
Ich zeigte ihr mit meinem Lächeln, daß ich ihren Schwachpunkt erkannt hatte. »Nein, das war’s schon.«
Die blauen Flecke und Prellungen, die ich abbekommen hatte, machten sich durch bohrende Schmerzen bemerkbar. Bis ich die wieder los war, würden Tage vergehen. »Danke, daß Sie sich so viel Zeit für mich genommen haben. Wenn ich sonst noch was wissen muß, komme ich her und wende mich direkt an Sie.«
»Wie rücksichtsvoll!« Ihr Blick ruhte wieder auf den bunten Wollsträngen, die neben ihr im Korb lagen.
»Geben Sie’s doch zu«, drängte ich, »wenn der Besuch gegangen ist, überlassen Sie die Arbeit einer Magd!«
Severina blickte auf. »Irrtum, Falco.« Ein Anflug von Trauer huschte über ihr sonst so beherrschtes Gesicht. Ein rührender Effekt. »Ja, Sie irren sich in jeder Beziehung.«
»Ach, sei’s drum. Ich fand Ihre Geschichte großartig. Ich hab ’ne Schwäche für gut inszenierte Komödien.«
Die Brieftaschenbraut befahl ungerührt: »Verlassen Sie mein Haus!«
Sie war ein zäher Gegner und bis zu einem gewissen Grade ehrlich; das gefiel mir. »Ich geh schon, nur noch eine Frage: Die Hortensius-Sippschaft scheint mir ziemlich eng miteinander verbandelt. Kommen Sie sich da nicht deplaziert vor?«
»Ich bin bereit, mir Mühe zu geben und mich anzupassen.«
»Kluges Mädchen!«
»Es ist das mindeste, was ich für Novus tun kann!«
Sie war wirklich klug; aber als ich ging, folgten ihre Blicke mir lebhafter als ratsam.
Ich wankte ins erstbeste Badehaus, marschierte schnurstracks durch die Dampfräume und ließ mich in ein heißes Becken gleiten, damit mein zerkratzter, geschundener Körper erstmal richtig weich werden konnte. Ich lag im warmen Wasser, ließ mich treiben, bis alles Denken ausgelöscht war, und pulte selbstvergessen an der offenen Wunde rum, was man nie machen sollte und doch immer wieder tut.
Irgendwann fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, Severina für meine Klienten zu kaufen. Egal. Ich konnte ihr immer noch ein Angebot machen. Mußte ich eben noch mal hin und einen Preis aushandeln. Irgendwann in den nächsten Tagen, wenn ich innerlich auf die Unterredung vorbereitet war und vor allem meine Glieder wieder bewegen konnte.
Sie war allemal eine Herausforderung. Und der Gedanke, daß auch ich eine Herausforderung für sie darstellen könnte, juckte mich nicht im geringsten.
XXII
Mein Quantum an Aufregung hatte ich weg. Nie hätte ich die Energie aufgebracht, mich bis zum Pincio zu schleppen und meinen Klienten Bericht zu erstatten, selbst dann nicht, wenn mir der Sinn nach weiterem Kontakt mit weiblichem Laster gestanden hätte. Und ich hielt es auch nicht für ratsam, Helena zu reizen und an der Porta Capena mit blauen Flecken zu prahlen, die ich einer anderen Frau verdankte. Also blieb mir nur noch ein reizvolles Ziel: heim ins eigene Bett.
Als ich vorsichtig die zwei Treppen zu meiner Wohnung hochstieg (dankbarer denn je, daß es nicht die mörderischen sechs Stiegen von der Brunnenpromenade waren), stieß ich mit Cossus zusammen.
»Falco, Sie sehen aber mitgenommen aus!«
»Unersättliche Freundin. Was führt Sie her? Kassieren Sie die rückständigen Mieten?«
»O nein, unsere Mieter zahlen alle sehr pünktlich.« Ich hielt meine Gesichtszüge unter Kontrolle, um ihm nicht zu verraten, daß ihm da demnächst vielleicht eine Überraschung bevorstand. »Die Witwe im vierten Stock hat sich beschwert. Irgendein Idiot verstößt neuerdings gegen die Nachtruhe – grölt ordinäre Lieder und knallt mit den Türen. Haben Sie ’ne Ahnung, wer das sein könnte?«
»Ich hab nichts gehört.« Ich senkte die Stimme. »Diese einsamen alten Weiber bilden sich manchmal werweißwas ein.« Selbstredend war Cossus eher geneigt, die Witwe für bekloppt zu halten, als einem durchtrainierten Mieter – der ihn womöglich beim kleinsten Vorfall vertrimmen würde – asoziales Verhalten zu unterstellen. »Ich habe allerdings gehört«, raunte ich, »wie besagte Witwe gegen die Wände hämmert. Ich hätte es melden können, aber ich bin ein toleranter Mensch …« Und dann wechselte ich elegant das Thema. »Ach, übrigens, was ich Sie fragen wollte, ist in einem Haus wie dem hier nicht normalerweise ein Pförtner inbegriffen, ein Hausmeister, der das Wasser raufträgt und die Treppen sauberhält?«
Ich hatte Ausflüchte erwartet. Doch der Makler pflichtete mir ohne Zögern bei. »Natürlich«, sagte er, »nur, Sie wissen ja, daß viele Wohnungen leerstehen. Aber die Anstellung eines Portiers steht ganz oben auf meiner Liste …«
Es klang so dienstbeflissen, daß ich ihm zum Abschied sogar ein Trinkgeld gab, als Dank für seine Mühe.
Meine Wohnungstür stand offen. Kein Grund zur Aufregung; vertraute Geräusche belehrten mich schon von draußen, was los war. Mico, mein unzuverlässiger Schwager, mußte meine Adresse preisgegeben haben.
Ich spähte vorsichtig durch die offene Tür. Eine Besenladung Sand staubte über meine Füße und setzte sich unter den Schnürsenkeln fest. »Guten Morgen, Gnädigste. Wohnt hier der ehrenwerte Marcus Didius Falco?«
»Dem Dreck nach zu urteilen, sicher!« Sie wirbelte mit dem Reisigbesen über meine Zehen, daß ich einen Satz rückwärts machte.
»Hallo, Mama! Du hast mich also gefunden?«
»Ich nehme doch an, du wolltest mir deine neue Wohnung zeigen?«
»Und? Wie gefällt sie dir?«
»Von unserer Familie hat noch niemand in der Piscina Publica gewohnt.«
»Zeit, daß wir vorankommen, Mama!« Meine Mutter rümpfte die Nase.
Ich versuchte, mich so zu bewegen, als hätte ich mir bloß bei einer netten Übungsstunde im Gymnasium den Knöchel verstaucht. Es klappte nicht; Mama lehnte sich auf ihren Besen. »Wie ist denn das wieder passiert?«
Der Witz mit der ungestümen Freundin schien hier kein guter Einfall. »Ein paar Leute mit derben Manieren haben mich überrumpelt. Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Ach, nein?« Es war nicht das erste Mal, daß sie mich nach einer Schlägerei, die ich gern geheimgehalten hätte, erwischte. »Da lob ich mir doch das Gefängnis! Dort warst du wenigstens heil!«
»Von wegen, Mama! Eine Riesenratte hat mich angeknabbert! Ich hatte Glück, daß du mich da rausgeholt hast …« Sie gab mir einen Stups mit dem Besen, der besagte, sie habe diese Lüge genauso leicht durchschaut wie all die anderen.
Nun, da ich zu Hause war, machte sich meine Mutter aus dem Staub. Wenn ich grinsend auf einem Schemel danebenhockte, konnte sie nicht mehr ungestört nach Beweisen für meinen unmoralischen Lebenswandel suchen. Sie zog es vor, sich ohne Zeugen aufzuregen und es in aller Ruhe auszukosten. Bevor sie abrauschte, braute sie mir aber noch einen heißen Wein mit allerlei Gewürzen, mit denen sie meine Speisekammer aufgefüllt hatte, für den Fall, daß mal respektabler Besuch käme. Getröstet legte ich mich schlafen.
Irgendwann am Nachmittag wachte ich ganz durchgefroren auf, denn ich hatte bisher noch keine Decke für Junias Bett organisiert. Nach drei Tagen brauchte ich außerdem dringend frische Sachen und meine etlichen Schätze, die ich normalerweise zu Hause um mich habe. Als ob der Tag nicht schon aufregend genug gewesen wäre, verordnete ich mir – Ausgleichssport hält fit – einen Ausflug zur Brunnenpromenade.
Die Geschäfte waren noch geschlossen, als ich über den Aventin schnürte. In meiner alten Straße schien alles ruhig. Rodan und Asiacus, die Schläger meines Hausherrn, gönnten der Nachbarschaft einen friedlichen Tag. Auch von den einfältigen Lakaien des Oberspions war keine Spur zu sehen. Die Wäscherei hielt ebenfalls noch Siesta. Also konnte ich es wohl wagen, ins Haus zu gehen.
Ich schlich nach oben und huschte in meine Wohnung. Dort schnappte ich mir meine Lieblingstuniken vom Haken, ferner einen brauchbaren Hut, meine Festtagstoga, ein Kissen, zwei Kochtöpfe, die trotz fünfjährigen Gebrauchs noch einigermaßen heil waren, das Wachstäfelchen, auf dem ich meine lyrischen Gedichte komponiere, ein Extrapaar Schuhe und schließlich meinen kostbarsten Besitz: zehn Bronzelöffel, ein Geschenk von Helena. Ich wickelte alles in eine Decke, die ich vom Militär mit heimgebracht hatte, und verließ, das Bündel über der Schulter, die Wohnung – wie ein braver Einbrecher, der sich mit seiner Beute davonschleicht.
Ein Einbrecher wäre damit durchgekommen. Richtige Diebe können zehn Fuhren antiker Marmortafeln, ein Dutzend Bronzestatuen, den ganzen Falerner und die schöne junge Tochter des Hauses aus einer Villa entführen, ohne daß irgend jemand in der Nachbarschaft was merken würde. Ich verließ das Haus mit meinem rechtmäßigen Eigentum – und schon hatte eine ungehobelte Wurstverkäuferin, der ich noch nie begegnet war, mich erspäht und Verdacht geschöpft. Selbst in einem solchen Fall hätten echte Räuber sich noch in Sicherheit gebracht, ehe die Zeugin etwas unternehmen konnte. Ich aber traf auf die einzige einsatzfreudige Bürgerin diesseits des Aventin. Sowie sie mich davonlatschen sah, raffte sie ihre groben wollenen Röcke, ließ einen Schrei los, den man bestimmt bis zur Tiberinsel hörte, und nahm die Verfolgung auf.
Panik – und Zorn – wirkten wie Schmieröl auf meine steifen Glieder. Wie der Blitz sauste ich die Straße lang … genau in dem Moment, als Anacrites’ zwei Spione aus dem Barbierladen traten, wo sie sich den äußersten Zentimeter ihrer Bärte hatten wegstutzen lassen. Ehe ich wußte, wie mir geschah, hatten sie mich abgefangen, und mein linker Fuß klemmte unrettbar unter einer der Riesenflossen fest.
Ich warf mein Bündel nach dem anderen Spion. Dabei muß ihm meine größte Eisenpfanne direkt vor den Hals geknallt sein, denn der Schuft prallte zurück und ließ ein Gebrüll los, das einem in den Ohren weh tat. Der Besitzer der Quanten klebte mir zu dicht auf der Pelle, als daß ich auch ihm einen solchen Schleuderhieb hätte verpassen können. Seine Strategie, ein wehrloses Opfer vollends zu überwältigen, bestand darin, einfach die Passanten um Hilfe anzubrüllen. Da mich von denen aber die meisten kannten, weideten sie sich erst schadenfroh an meiner Misere, und als sie davon genug hatten, lachten sie ihn aus. Ihren Spaß hatten die Leute auch an der Wurstverkäuferin – einem knapp einen Meter großen Weiblein, das furiengleich mit dem Wursttablett über uns herfiel. Ich konnte mich so weit aus der Schußlinie manövrieren, daß Quadratlatsche das Ärgste abkriegte, darunter einen wüsten Schlag mit einem geräucherten Riesenphallus, der dem Kerl den Geschmack an Pfeffersalami für den Rest seines Lebens verdorben haben dürfte.
Indes wich sein Mordspaddel nicht von meinem Fuß. Ich konnte mich nicht richtig wehren, weil ich ja mein Bündel festhalten mußte. Sowie ich es fahren ließ, würde irgendein Tagedieb aus der Regio Dreizehn mit meiner Habe auf und davon rennen und sie an einer Straßenecke verhökern, ehe ich auch nur einmal blinzeln konnte. Also stemmten Plattfuß und ich uns gegeneinander wie Partner in einem Stammesringkampf: er, um mich festzuhalten, ich, um mich freizustrampeln.
Ich sah, wie sein Mitspitzel langsam wieder zu sich kam. Da erschien Lenia, einen großen Waschzuber in die Hüfte gestemmt, um festzustellen, was da vor ihrer Wäscherei für ein Spektakel abging. Als sie mich erkannte, grinste sie höhnisch und kippte den Kessel über dem Halunken aus, den ich mit der Pfanne erwischt hatte: war nicht sein Tag für Haushaltswaren. Als der Wasserschwall mit solcher Wucht über seinen Schädel schwappte, daß ihm die Beine wegknickten, verschaffte ich meinem festgeklemmten Fuß bei seinem Kumpanen gerade so viel Bewegungsfreiheit, daß ich das andere Knie aufwärtsschwenken konnte; wütend zielte ich damit auf einen Körperteil des Kerls, der längst nicht so gut entwickelt war wie seine Füße. Seine Freundin würde mich verfluchen. Der Bursche krampfte vor Schmerz die Zehen zusammen. Ich war frei! Lenia deckte die Wurstverkäuferin mit einem Schwall gottloser Flüche ein. Ich gab Quadratlatsche durch einen Schlag mit meinem Bündel den Rest und zischte ab, ohne mich zu entschuldigen.
Wieder daheim.
Nach dem Tumult auf dem Aventin schien es hier geradezu aberwitzig still. Ich brachte ein bißchen Schwung in die Bude, indem ich ein derbes gallisches Liedchen pfiff, bis die verschrobene Witwe über mir wieder zu pochen anfing. Da sie kein Gefühl für Rhythmus hatte, beendete ich meinen Vortrag.
Erschöpft versteckte ich Helenas Löffel in der Matratze, wickelte mich in meine mottenzerfressene Decke und klappte auf dem Bett zusammen.
Ganze Nachmittage zu verschlafen ist ein angenehmer Zeitvertreib und obendrein einer, in dem Privatermittler große Übung haben.
XXIII
Am nächsten Morgen erwachte ich erfrischt, aber mit schmerzenden Gliedern. Ich beschloß, zu Severina Zotica zu gehen und ihr die Meinung zu geigen, solange die passende Ausdrucksweise sich mühelos von selbst aufdrängte.
Zuerst frühstückte ich allerdings noch. Meine Mama, die glaubt, daß heimische Küche einen Jüngling vor moralischen Fehltritten bewahrt (besonders wenn er sich selbst daheim an den Kochtopf stellen muß), hatte eine Kohlenpfanne besorgt, auf der ich ab und an was brutzeln konnte, bis ich mir einen Herd gebaut hatte. Aber das würde wohl noch eine Weile dauern. Im August erschien es mir wenig reizvoll, geklaute Ziegel heimzuschleppen, bloß damit ich mein elegantes neues Quartier mit Rauch, unerwünschter Hitze und dem Geruch von gebratenen Sardinen verpesten konnte. Andererseits war es womöglich leichter, gleich anzufangen, als mich vor meiner Mutter wegen der Bummelei zu verteidigen … Mama hatte immer noch nicht kapiert, daß ein Privatermittler kühnere Aufgaben hat als die Führung eines Haushalts.
Ich schlürfte meinen selbstgebrauten Honigtrank, während ich an der These bastelte, herrische Mütter seien der Grund dafür, daß die meisten Detektive Eigenbrötler sind und aussehen wie von zu Hause durchgebrannt.
Als ich in die Abakusstraße einbog, hatten andere Leute ihre Morgenmahlzeit längst vergessen und überlegten schon, was sie sich zu Mittag gönnen sollten. Ich erinnerte mich meines eben genossenen Frühstücks mit einem dezenten Rülpser – dann folgte ich dem allgemeinen Trend und erwog, mir gleichfalls eine neue Erfrischung einzuverleiben. (Alles, was ich hier verzehrte, konnte ich ja den Hortensii als »Überwachungskosten« in Rechnung stellen.)
Ich wollte eben das Speisehaus betreten, als die Brieftaschenbraut meinen schönen Plan vereitelte. Nach den Schriftrollen unter ihrem Arm zu urteilen, war diese fleißige Scholarin schon wieder in der Bibliothek gewesen.
Der Käseladen gegenüber von ihrer Wohnung bekam gerade eine Lieferung, und so war sie genötigt, auf der Straße aus dem Tragstuhl zu steigen, weil ihr Eingang von Handwagen mit Eimern voll Ziegenmilch und in Tüchern eingeschlagenen Frischkäsen blockiert wurde. Als ich dazu kam, sagte sie den Lieferanten gerade gehörig die Meinung. Die Männer hatten den Fehler begangen, ihr zu erklären, daß sie schließlich bloß ihre Arbeit täten; das bot Severina Zotica die einmalige Gelegenheit, hämisch darauf hinzuweisen, wie ihre Arbeit richtig getan gehöre, nämlich mit Rücksicht auf Feuerwehrzufahrten, Straßenbenutzungsverordnungen und ohne Behinderung von Hausbewohnern und Passanten.
In Rom sind solche Szenen an der Tagesordnung. Ich hielt mich im Hintergrund und sah zu, wie sie ihren Spaß hatte. Die Männer mit den Handwagen hatten diese Sprüche schon dutzendweise gehört; schließlich rückten sie einen rahmverkrusteten Eimer beiseite, so daß Severina, wenn sie ihre Röcke raffte, sich würde vorbeizwängen können.
»Sie schon wieder!« zischte sie mir über die Schulter zu, in einem Ton, dessen sich manchmal auch meine Verwandten bedienen. Abermals hatte ich das Gefühl, sie liebe die Gefahr und die Herausforderung.
»Ja – entschuldigen Sie, ich …« Etwas hatte meine Aufmerksamkeit erregt.
Während ich auf Severina wartete, war ein Rüpel auf einem Esel zu dem Obsthändler geritten, der die Plantage in der Campania besaß und mit dem ich mich gestern unterhalten hatte. Der Alte war hinter seiner Theke vorgekommen und schien nun bittend auf den Flegel einzureden. Der machte denn auch Anstalten, wieder loszureiten, aber im letzten Moment stieß er seinen Esel brutal rückwärts gegen die Ladentheke. Das Tier war anscheinend aufs Zertrümmern dressiert; es schwang sein Hinterteil so präzise, als müsse es das Volk in der Arena zwischen den Gladiatorenkämpfen unterhalten. All die hübsch aufgebauten Türmchen früher Trauben, Aprikosen und Hagebutten kollerten auf die Straße. Der Reiter grapschte sich eine unversehrte Nektarine, biß einmal kräftig hinein und warf die Frucht dann verächtlich lachend in die Gosse.
Wie ein Wilder spurtete ich über die Straße. Der Rüpel schickte sich an, seinen Esel ein zweites Mal auskeilen zu lassen. Doch da riß ich ihm die Zügel aus der Hand und stellte mich ihm drohend in den Weg. »Vorsicht, Freundchen!«
Er war ein mieser, naßforscher Kerl mit brauner Strickmütze, dessen massige Gestalt sich hauptsächlich horizontal verteilte. Seine Waden waren so dick wie baetische Schinken, und mit seinen Schultern hätte er einen Triumphbogen verdunkeln können. Trotz der Muskelpakete machte er jedoch einen ausgesprochen ungesunden Eindruck; seine Augen waren verklebt und die Finger wund vom Umlauf. Sogar in dieser Hauptstadt der Pickelgesichter war er ein Phänomen.
Während der Esel sich mit gebleckten Zähnen gegen meine Faust an seinem Zügel wehrte, beugte der Flegel auf seinem Rücken sich nach vorn und funkelte mich zwischen den spitzen Ohren des Grautiers wütend an. »Sie werden mich nicht vergessen«, sagte ich ruhig. »Und ich Sie auch nicht! Ich heiße Falco, und jeder auf dem Aventin wird Ihnen bestätigen, daß ich’s nicht leiden kann, wenn ein brutaler Schuft einen wehrlosen alten Mann mutwillig um sein sauer verdientes Auskommen bringt.«
Seine Triefaugen huschten hinüber zu dem Obstverkäufer, der sich ängstlich zwischen seine massakrierten Birne geduckt hatte. »Unfälle passieren nun mal …« mümmelte der Alte, ohne mich anzusehen. Vermutlich war es ihm nicht recht, daß ich mich eingemischt hatte, aber so eine einschüchternde Kraftmeierei macht mich nun mal rasend.
»Unfälle kann man auch verhüten!« knurrte ich, an den Flegel gewandt, und zerrte den Esel am Zügel vom Stand fort. Das Vieh blickte so wild und tückisch drein wie ein Füllen, das man eben erst in den Wäldern Thrakiens gefangen hat – aber falls er mich beißen sollte, war ich wütend genug, umgehend zurückzubeißen. »Trollen Sie sich mit Ihrem vierbeinigen Saboteur auf einen anderen Markt – und lassen Sie sich hier nie wieder blicken!«
Dann versetzte ich dem Mistvieh einen Schlag auf den Hintern, daß es unter Protestgewieher davongaloppierte. Der Reiter drehte sich am Ende der Straße noch einmal um; er sah mich immer noch breitbeinig mitten auf der Straße stehen, ihn und seinen Esel im Visier.
Ein Häuflein Schaulustiger hatte den Vorfall stumm beobachtet. Die meisten von ihnen erinnerten sich jetzt wieder ihrer Geschäfte und liefen eilig auseinander. Ein oder zwei halfen mir, das Obst wieder einzusammeln. Der Alte schaufelte alles wie Kraut und Rüben auf die Theke, warf die zerquetschten Früchte in einen Eimer und versuchte den Rest so herzurichten, als ob nichts geschehen wäre.
Sobald sein kleiner Laden wieder halbwegs in Ordnung war, schien er aufzuatmen. »Sie kannten diesen Hornochsen«, sagte ich ihm auf den Kopf zu. »Was hat er gegen Sie in der Hand?«
»Das ist bloß der Laufbursche von meinem Vermieter.« Ich hätte es mir denken können. »Der will die Miete für alle Geschäfte, die zur Straße hin liegen, raufsetzen. Ein Saisongewerbe wie meines wirft aber nicht mehr ab. Also habe ich im Juni nach dem alten Tarif gezahlt und um Aufschub gebeten … Das war die Antwort.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Er schüttelte ängstlich den Kopf. Wir wußten beide, daß ich ihm mit meinem Eingreifen nur noch mehr Ärger eingehandelt hatte.
Severina stand noch immer vor ihrem Haustor. Sie erwähnte den Zwischenfall mit keinem Wort, wirkte aber seltsam in sich gekehrt.
»Tut mir leid, daß ich einfach so auf und davon bin …« Als wir hineingingen, kochte ich immer noch vor Wut. »Haben Sie denselben Vermieter wie die kleinen Geschäftsleute da?« Sie schüttelte den Kopf. »Wem gehören denn die Läden?«
»Einem Konsortium. In der letzten Zeit hat’s da eine Menge Ärger gegeben.«
»Auch Ausschreitungen?«
»Ich glaube schon …«
Ich hatte dem Obsthändler keinen Gefallen getan. Das ließ mir keine Ruhe. Aber solange ich hier in der Gegend blieb, um Severina zu beschatten, würde ich zumindest ein Auge auf ihn haben können.
XXIV
Nach ihrem morgendlichen Ausflug verlangte es Severina nach einem Stärkungstrunk, und sie lud mich ein, ihr dabei Gesellschaft zu leisten. Während aufgetragen wurde, saß sie stumm da und grübelte, genau wie ich, über den Angriff auf den Obsthändler nach.
»Falco, wußten Sie eigentlich, daß der alte Mann Ärger mit seinem Vermieter hatte?«
»Nein, aber als ich sah, wie der Kerl ihn drangsalierte, war das nicht schwer zu erraten.«
Heute trug sie Blau, ein kräftiges Azurblau mit einem matteren Gürtel, in den sie ein paar Fäden jenes leuchtenden Orange gewebt hatte, das sie bevorzugt als Kontrast einsetzte. Das Blau verlieh ihren Augen unvermutet Farbe. Ja, sogar das krause rote Haar wirkte auf einmal leuchtender.
»Und dann hat Ihr besseres Ich triumphiert!« Sie schien mich dafür zu bewundern, daß ich meine Pflicht und Schuldigkeit getan hatte. Ich rührte angelegentlich in meinem Becher herum. »Seit wann haben Sie diesen Haß auf Hausherren, Falco?«
»Schon seit der erste angefangen hat, mich zu schikanieren.« Severina musterte mich über den Rand ihres Bechers hinweg, ein schlichtes Gefäß aus roter Töpferware, nicht teuer, aber angenehm in der Hand. »Mietbesitz ist etwas Widerliches, wie eine ansteckende Krankheit. Also, ein Großonkel von mir …« Ich stockte. Diese Frau verstand sich aufs Zuhören; ich hatte mich schon einwickeln lassen. »Mein Onkel, der übrigens auch Handelsgärtner war, erlaubte einem Nachbarn, ein Schwein in einem Verschlag auf seinem Grund unterzustellen. Zwanzig Jahre lang teilten sie sich den Schuppen in aller Freundschaft, bis der Nachbar zu Geld kam und dem Onkel eine Jahrespacht anbot. Mein Großonkel nahm dankend an – und ertappte sich, schwupps, bei dem Gedanken, ob er wohl verlangen könne, daß sein alter Freund ein neues Dach für den Stall bezahlt! Er war so erschrocken über sich selbst, daß er den Pachtzins zurückgab. Großonkel Scaro hat mir das erzählt, als ich sieben war, so als wär’s bloß eine Geschichte und weiter nichts; aber in Wahrheit wollte er mich vorwarnen!«
»Davor, nur ja kein begüterter Mann zu werden?« Severina maß mich mit einem raschen Blick. Ich trug meine gewohnte geflickte Tunika, den Werktagsgürtel und war wieder mal nicht gekämmt. »Die Gefahr ist nicht gerade groß, oder?«
»Brieftaschenbräute wie Sie haben den Ehrgeiz nicht allein gepachtet!«
Sie nahm es mit Humor. »Ich sollte wohl lieber beichten, warum ich nicht denselben Vermieter habe wie die kleinen Ladner in der Nachbarschaft …«
Ich hatte es bereits erraten. »Dies ist eine Eigentumswohnung?«
»Die Privatwohnungen in diesem Block gehören zufälligerweise alle mir. Aber die Geschäfte werden getrennt vermietet – damit habe ich nichts zu tun.« Sie bekannte das ganz demütig; kein Wunder, denn dieses Geständnis brachte uns ja gleich wieder zurück zu dem heiklen Thema ihrer so rasch und leicht erworbenen Erbschaften. Durch den Steinschneider in der Subura hatte ich erfahren, daß zumindest einige von Severinas Mietern zufrieden waren. Aber mich interessierte in erster Linie, wie sie an ihre Beute gekommen war, und nicht, wie klug sie das Erbe dann verwaltete.
Ich stand auf. Wir befanden uns in einem freundlichen, ockergelb gestrichenen Zimmer mit Schiebetüren. Diese Türen öffnete ich, in der Hoffnung, ein bißchen Grün zu sehen, erblickte aber nur einem baumlosen, gepflasterten Innenhof.
»Haben Sie hier einen Garten?« Severina schüttelte den Kopf. Ich schnalzte mißbilligend mit der Zunge und kehrte dem tristen kleinen Schattenplätzchen draußen den Rücken. »Sie wechseln eben immer viel zu rasch das Quartier. Gärten sind was für Seßhafte! … Aber das braucht Sie ja nun nicht mehr zu kümmern. Mit Novus kriegen Sie praktisch den halben Pincio …«
»Ja, da ist reichlich Platz, um mich mit Zierpflanzen zu amüsieren … Was haben Sie eigentlich für eine Wohnung, Falco?«
»Bloß vier Zimmer – eins davon mein Büro. Ich bin gerade erst umgezogen.«
»Und? Zufrieden?«
»Weiß noch nicht. Die Nachbarn sind ziemlich hochnäsig, und dann fehlt mir auch mein Balkon. Aber es ist schön, so viel Platz zu haben.«
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein.«
»Freundinnen?« Mein Zögern entging ihr nicht. »Oh, lassen Sie mich raten – nur eine? Macht sie Ihnen Ärger?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie sehen aus wie ein Mann, der sich leicht mal übernimmt.« Ich lachte spöttisch. Bei fünf Schwestern habe ich gelernt, Neugier einfach zu ignorieren. Severina, die klüger war als meine Schwestern, wechselte das Thema. »Wenn Sie als Ermittler einen Auftrag haben, bearbeiten Sie den dann mit einem Kompagnon?«
»Nein. Ich arbeite immer allein.« Das schien sie zu freuen. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, an ihrer Angel zu zappeln. Erst sehr viel später entdeckte ich, wieso.
»Sie werden ja so verlegen, Falco. Sprechen Sie nicht gern über Ihr Privatleben?«
»Ich bin auch nur ein Mensch.«
»Aber ja doch! Unter dem knallharten Klischee versteckt sich ein gefühlvoller Charakter.«
Es war Taktik: pure professionelle Schmeichelei. Ich spürte, wie mein Rücken sich versteifte. »Schluß damit, Zotica! Wenn Sie nur einen Sparringspartner zum Süßholzraspeln brauchen, muß ich mich leider verabschieden.«
»Kein Grund zur Aufregung, Falco!«
Ich setzte mich tapfer weiter zur Wehr. »Schmeichelei verfängt bei mir nicht. Ich steh auf große braune Augen und Schlagfertigkeit …«
»Wie anspruchsvoll!«
»Außerdem kann ich Rothaarige nicht leiden.«
Sie maß mich mit scharfem Blick. »Was haben Sie denn für schlechte Erfahrungen mit Rothaarigen?«
Ich lächelte matt. Mit einer Rothaarigen hatte sich mein Vater seinerzeit auf und davon gemacht. Aber dafür konnte ich kaum den ganzen Stamm feuerschöpfiger Weibsbilder verantwortlich machen; ich kannte meinen Vater und wußte, daß es seine Schuld war. Nein, meine Einstellung war rein geschmacksbedingt: Rothaarige haben mich noch nie gereizt.
»Vielleicht sollten wir lieber übers Geschäft reden«, schlug ich vor, ohne mich durch ihre Frage beirren zu lassen.
Severina beugte sich zu einem Beistelltischchen und füllte erst ihren und dann meinen Becher nach. Da ich glaubte, daß sie den Tod ihrer drei Ehemänner verschuldet hatte, und ferner annahm, einer der drei, nämlich der Apotheker, könne vergiftet worden sein, wurde mir ziemlich mulmig. Ein vernünftiger Mann hätte, in Kenntnis von Severinas Geschichte, ihre Gastfreundschaft vorsichtshalber ausgeschlagen. Aber hier, in ihrem gemütlichen Zimmer, eingelullt von ihrer Konservationskunst, kam es mir einfach unhöflich vor, die angebotene Erfrischung abzulehnen. Wurde ich am Ende durch die gleichen Kniffe entwaffnet, mit denen sie ihre Opfer für den Abtransport ins Jenseits präparierte?
»Also, Falco, was kann ich für Sie tun?«
Ich setzte den Becher ab, verschränkte die Hände und stützte das Kinn auf die Daumen. »Zum Zeichen meiner Bewunderung für Sie, Zotica, will ich ganz offen sein.« Wir sprachen leise und beiläufig miteinander, aber der Reiz eines ernsten Geschäfts sorgte gleichwohl für Spannung. Ihr Blick traf den meinen; die Freude, die sie offensichtlich am Feilschen hatte, milderte den berechnenden Ausdruck. »Meine Klientinnen, die Damen Hortensius, haben mich beauftragt, herauszufinden, wieviel nötig wäre, damit Sie Novus in Ruhe lassen.«
Severina schwieg so lange, daß ich mir meine Worte nochmal ins Gedächtnis rief, für den Fall, ich hätte mich mißverständlich ausgedrückt. Aber der Vorschlag traf sie wohl doch nicht unvorbereitet. »Das war wirklich unmißverständlich, Falco. Sie verstehen sich darauf, einer Frau Bargeld anzubieten!«
»Mein älterer Bruder war ein Mann von Welt. Er hat dafür gesorgt, daß ich lernte, wie man einer Hure einen halben Denar ins Mieder steckt.«
»Jetzt werden Sie aber ausfallend!«
»Wieso? Der Fall hier liegt doch nicht viel anders.«
Ich ordnete die Falco-Züge zu dem, was sie knallhart Klischee genannt hatte, während Severina sich straffte. »Na, das ist aber schmeichelhaft! Wieviel bieten sie mir denn, Atilia und diese gräßliche Pollia?«
»Nennen Sie Ihren Preis. Wenn Ihre Forderung zu unverschämt ausfällt, werde ich meinen Klientinnen raten, abzulehnen. Andererseits reden wir hier immerhin über den Preis eines Lebens …«
»Wenn ich nur wüßte, was das soll!« zischte Severina wütend, fast wie im Selbstgespräch. Sie setzte sich noch aufrechter. »Falco, daß ich mich nach dem Angebot erkundigt habe, war pure Neugier. Ich denke gar nicht daran, mein Verlöbnis mit Novus zu lösen. Jeder Bestechungsversuch ist beleidigend und überdies reine Zeitverschwendung. Ich geben Ihnen mein Wort darauf, daß es mir hier nicht ums Geld geht!«
Der Schluß ihrer Rede geriet so leidenschaftlich, daß ich mich genötigt sah, Beifall zu klatschen. Severina Zotica sog scharf die Luft ein, schluckte aber im letzten Moment ihren Ärger runter, weil ein Gast uns unterbrach. Erst vernahm ich nur ein kratzendes Geräusch. Dann bebte der Türvorhang. Ich stutzte, aber da erschienen unter dem Saum des Vorhangs schon ein bedrohlicher Schnabel und ein finsteres, gelbgerändertes Auge, gefolgt von einem weißen Gesicht: ein an die dreißig Zentimeter großer grauer Vogel, abgestuft von mondfahl bis kohlrußig.
Ich sah, wie Severinas Stimmung sich hob. »Sie möchten nicht zufällig einen Papagei haben, Falco?« fragte sie und seufzte.
Nach meiner Ansicht gehören Vögel auf Bäume.
Exotische Vögel – mit all ihren widerwärtigen Krankheiten – holt man am besten erst gar nicht von ihren exotischen Bäumen runter. Ich schüttelte den Kopf.
»Alle Männer sind Schweine!« kreischte der Papagei.
XXV
Ich war so verblüfft, daß ich lachen mußte. Der Papagei ahmte mein Gelächter Ton für Ton nach. Ich wurde rot. »Schweine!« wiederholte der Papagei wie besessen.
»Der ist aber unfair! Wer hat ihm denn diesen männerfeindlichen Kommentar beigebracht?« fragte ich Severina.
»Er ist eine Sie.«
»Natürlich! Wie dumm von mir.«
Der Vogel, sicher der widerlichste Haufen Federn, der je auf einer Sitzstange rumgehackt hat, beäugte mich mißtrauisch. Dann befreite er sich, den scharlachroten Stummelschwanz geplustert, aus dem Türvorhang und stolzierte, den Bürzel hinter sich herschleifend wie ein launischer Pfau, ins Zimmer. Knapp außer Reichweite meines Schuhs blieb er stehen.
Severina betrachtete ihr Schoßtierchen. »Sie heißt Chloe. Sie war schon so, als ich sie bekam. Eine Liebesgabe von Fronto.« Fronto, das war der Importeur wilder Tiere.
»Tja, das kommt davon! Wenn eine die Männer so rasch wechselt wie Sie, dann bleiben mißlungene Geschenke eben nicht aus!«
Der Papagei plusterte sich vor mir auf. Verirrte Flaumfedern segelten gesundheitsschädlich durchs Zimmer. Ich kämpfte gegen den Niesreiz an.
In dem Moment wurde der Vorhang erneut beiseite gezogen, diesmal von einem von Severinas zwei stämmigen Sklaven. Er nickte ihr zu. Sie stand auf. »Novus ist hier. Er kommt regelmäßig zum Mittagessen.« Ich wollte mich schon diskret verdrücken, aber sie bedeutete mir, sitzen zu bleiben. »Ich geh nur rasch und rede mit ihm. Möchten Sie uns dann Gesellschaft leisten?« Mir verschlug es die Sprache. Severina lächelte. »Ich habe ihm alles über Sie erzählt«, säuselte sie und ergötzte sich dabei an meiner Verlegenheit. »Ach, bleiben Sie doch, Falco. Mein Verlobter möchte Sie rasend gern kennenlernen!«
XXVI
Sie ging aus dem Zimmer.
Der Papagei machte glucksende Geräusche; ich zweifelte nicht daran, daß er mich verhöhnte. »Ein falsches Wort«, knurrte ich drohend, »und ich kleb dir den Schnabel mit Pinienharz zusammen!«
Die Papageiendame Chloe seufzte theatralisch. »O, Cerinthus!«
Ehe ich den Vogel fragen konnte, wer denn dieser Cerinthus sei, kam Severina mit ihrem zukünftigen Gatten herein.
Hortensius Novus war korpulent und eindeutig Egozentriker. Wer eine so fleckenlos strahlende Tunika trug, zog sich mindestens fünfmal am Tag um. Seine Hände waren mit prächtigen Ringen überladen. Den Schwerpunkt seines Gesichts bildete sein schwarzschimmerndes Kinn; den fleischigen Mund hatte er dumpf brütend verzogen. Er war um die Fünfzig – in einer Gesellschaft, die reiche Erbinnen aus der Wiege heraus verlobte und in der feiste Senatoren gesetzten Alters Patriziertöchterlein von fünfzehn heirateten, keinesfalls zu alt für Severina. Der Papagei lachte ihn aus; er ignorierte die Kreatur.
»Hortensius Novus … Didius Falco …« Ein knappes Nicken von seiner, ein stummer Gruß von meiner Seite. Severina, jetzt ganz erfahrener Profi, lächelte uns ohne die gewohnte Raffinesse im Blick zu – lauterer, milchweißer Teint mit Manieren wie Schlagsahne. »Bitte, gehen wir doch ins Speisezimmer …«
Ihr Triklinium war der erste Raum im Haus, in dem ich Wandgemälde entdeckte – unauffällige Weinranken und zierliche Urnen mit Blütenflor auf einheitlich granatrotem Hintergrund. Als Novus Platz nahm, zog ihm Severina mit eigener Hand die Straßenschuhe aus, wobei mir freilich nicht entging, daß die liebevolle Fürsorge sich darin auch schon erschöpfte; sie überließ es einem Sklaven, ihm die plumpen, schwieligen Füße zu waschen.
Novus benetzte sich auch Hände und Gesicht, wobei der Sklave die Schüssel hielt. Die war aus Silber und hatte reichlich Fassungsvermögen; das Handtuch über dem Arm des Sklaven besaß einen schönen, weichen Flor; der Sklave wiederum war aufs beste geschult. Es machte ganz den Eindruck, als verstünde Severina Zotica sich darauf, mit minimaler Hektik und Extravaganz einen Haushalt trefflich zu leiten.
Auch das Essen verblüffte mich durch seine Finesse: Es war eine ganz und gar schlichte römische Mahlzeit – Brot, Käse, Salat, verdünnter Wein und Obst. Und doch schmeichelte Severina ihren Gästen unterschwellig mit luxuriösen Köstlichkeiten: Selbst für nur drei Personen war ein komplettes Käsesortiment aus Ziegen-, Schafs-, Kuh- und Büffelmilch aufgefahren; es gab winzige Wachteleier und feine weiße Brötchen. Sogar die bescheidenen Rettiche waren fächerförmig oder gezackt aufgeschnitten, als Dekoration für eine grandiose Salatkomposition, angerichtet in Aspik – offenbar ein Werk der hauseigenen Küche, denn er wurde (mit dem entsprechenden Getue) vor unseren Augen gemischt. Als Abschluß gab’s einen ganzen Obstgarten zur Auswahl.
Wahre Hausmannskost: etwas, das nur sehr reiche Leute sich leisten können.
Novus und Zotica gingen offensichtlich ganz ungezwungen miteinander um. Sie sprachen kurz über die Vorbereitungen zu ihrer Hochzeit, die Art hitziger Debatte über die Vermeidung unglückverheißender Daten, wie sie die meisten verlobten Paare wochenlang beschäftigt (bis sie sich auf den Geburtstag einer gichtkranken Tante einigen – bloß, um nachträglich festzustellen, daß die alte Vettel mit einem hübschen jungen Masseur auf Kreuzfahrt ist und all ihren Zaster ohne Zweifel diesem Hallodri vermachen wird).
Bei einem so reichlichen Essen ergaben sich zwangsläufig viele Gesprächspausen. Novus war auf jeden Fall ein Vollblutgeschäftsmann, bei dem sich alles um die Arbeit drehte und ums Geld. Ob er wußte, daß auch er Gegenstand meiner Nachforschungen war, erwähnte er mit keinem Wort; das war mir zwar einerseits ganz recht, brachte mich aber andererseits in die peinliche Lage, meine Anwesenheit nicht gebührend rechtfertigen zu können. Allerdings trug Novus selbst kaum etwas zur Unterhaltung bei; lediglich ein paar Bemerkungen, denen ich entnahm, daß Severina sein volles Vertrauen genoß.
»Diese Schiffsladung aus Sidon, du weißt schon, ist endlich eingetroffen.«
»Da bist du gewiß erleichtert. Was hat die Flotte denn so lange aufgehalten?«
»Ungünstige Winde vor Zypern …«
Sie reichte ihm den Salat. Er war ein richtiger Stoffel, der ungeniert schwitzte und Grimassen schnitt, während er das Essen rasch und gierig in sich reinschlang. Man konnte ihn für ungehobelt halten – doch eine Frau, die sich nach einem sorgenfreien Leben sehnte, mochte wohl darüber hinwegsehen, sofern seine Geschenke großzügig ausfielen. Severina behandelte ihn mit einer gewissen respektvollen Höflichkeit; wenn sie ihn heiratete, würde die Ehe gewiß Erfolg haben – vorausgesetzt, sie konnte bei dieser ehrerbietigen Haltung bleiben (und er am Leben).
Großzügig war er. Novus hatte seiner Verlobten eine Halskette aus zwanzig violetten Amethysten mitgebracht. Er überreichte sie ihr mit beiläufiger Geste; sie empfing das Geschenk mit stiller Freude; ich behielt meine zynischen Gedanken für mich.
»Falco hatte heute morgen Krach mit einem von Priscillus’ Leuten«, erklärte Severina schließlich.
Novus bekundete zum ersten Mal Interesse an mir. Während ich bescheiden an einer Olive knabberte, schilderte sie, wie ich den alten Obsthändler vor dem Geldeintreiber seines Pachtherrn gerettet hatte. Novus brüllte vor Lachen. »Sie sollten sich lieber in acht nehmen! Händel mit Priscillus können gesundheitsschädlich sein!«
»Wer ist denn dieser Priscillus? Ein Immobilienhai?«
»Geschäftsmann.«
»Schmutzige Geschäfte?«
»Geschäfte eben.« Novus interessierte sich nicht für meine Meinung über Leute, die Wohnungen und Grundstücke verschachern.
Severina wandte sich aufmerksam an ihren Verlobten: »Was meinst du? Übertreibt Priscillus es nicht ein wenig?«
»Er treibt seine Mieten ein.«
»Es sah aber so aus …«
Novus wischte ihren leisen Einwand beiseite. »Sicher hatte dieser Pächter Schulden bei ihm – wenn’s ums Geld geht, darf man nicht sentimental sein.« Er benahm sich wie ein Mann, der es gewohnt ist, seinen Kopf durchzusetzen, auch wenn er ihr bei dem Wort »sentimental« einen nachsichtigen Blick zuwarf. Ich kannte den Typ: scharf wie ein Messer aus Noricum – und doch froh, ein anschmiegsames Kätzchen zu besitzen, das ihm das Gewissen mimt. Nicht das Schlechteste – vorausgesetzt, er hörte zu, wenn sein Gewissen sprach.
Severina schien nicht überzeugt, verzichtete aber auf jeden Einwand. Genau die richtige Tischdame: eine intelligente Gesprächspartnerin, die obendrein klug genug war, Zurückhaltung zu üben … Meine Gedanken wanderten zu Helena Justina. Wenn Helena etwas auf dem Herzen hatte, dann bestand sie darauf, es auch loszuwerden.
Ich sah, daß Severina mich heimlich beobachtete; scheinbar beiläufig nahm ich das Gespräch, das Novus so brüsk beendet hatte, wieder auf. »Ängstigt es Sie, daß dieser Priscillus seinen Schläger ins Viertel schickt und die Nachbarschaft unsicher macht?«
Das zuversichtliche Lächeln der taktvollen Gastgeberin erhellte Severinas Gesicht. »In Geschäftsdingen verlasse ich mich ganz auf den Rat von Hortensius Novus!«
Ich hätte wissen müssen, daß ich hier nur meine Spucke verschwendete.
Mit Rücksicht auf Novus’ Appetit beschlossen wir das Mahl mit Kuchen: bloß drei (schließlich war es nur Mittagbrot, kein Bankett), aber dafür wahre Meisterwerke der Konditorkunst, elegant präsentiert auf einer Silberplatte, die Severina ihrem Verlobten anschließend zum Geschenk machte. Allem Anschein nach beschenkte sie ihn ebenso regelmäßig wie umgekehrt. In diesem Fall gab das Präsent ihm auch noch das alleinige Recht, den Teller abzulecken; seine dicke, labberige Zunge schlotzte darüber hin, während ich neidisch zuguckte.
Kurz darauf ging er, die Platte unterm Arm, ohne auch nur ein Wort über den Grund meiner Anwesenheit verloren zu haben. Severina begleitete ihn hinaus, woraus man schließen konnte, daß sie sich heimlich küßten. Jedenfalls hörte ich den Papagei spöttisch kreischen.
Als die Gastgeberin zurückkam, hatte ich mich auf dem Diwan aufgerichtet und war gerade dabei, den Amethystschmuck zu taxieren und mit dem Preis für die Silberplatte zu vergleichen. »Heute hat Novus Sie wohl überflügelt, finanziell gesehen. Ein schönes Stück, Zotica – ich gratuliere!«
»Wie kann man nur so zynisch sein!«
Ich stand auf und schlenkerte das Geschmeide zwischen den Fingern einer Hand. »Hübsch – aber mit ein, zwei kleinen Fehlern, die Sie sicher auch bald entdecken werden. Wenn ich nicht die Aufgabe hätte, einen Keil zwischen Sie beide zu treiben, dann könnte ich den guten Novus davor warnen, einem Mädchen Edelsteine zu schenken, das bei einem Steinschneider in der Lehre war …« Sie versuchte, mir die Kette wegzunehmen. Ich bestand darauf, sie um ihren schlanken Hals zu legen. »Paßt nicht ganz zu Blau.«
»Nein; Amethyste sind immer schwer zu kombinieren.« Meine Versuche, sie zu ärgern, prallten wirkungslos an ihr ab.
»Tja, es wird Zeit für mich.« Ich ergriff ihre beiden Hände und beugte mich galant darüber. Sie waren mit einem blumigen Duft parfümiert, der mich an das Öl aus den Bädern erinnerte, die Helena Justina neuerdings frequentierte. Kamille war diesen Monat offenbar groß in Mode.
An der linken Hand trug Severina einen schweren goldenen Verlobungsring mit einem roten Jaspis. Das trügerische Symbol der Treue: eine dieser stümperhaften Karikaturen von zwei Händen, die einander gefaßt halten. Novus hatte das Gegenstück dazu getragen. An Severinas rechtem Ringfinger steckte dagegen ein schon ziemlich abgewetzter Kupferreif, oben abgeflacht und wie eine Münze bossiert. Darauf war ein schlichtes Venusbild eingeritzt. Ein billiger Modeschmuck. Vermutlich ein Erinnerungsstück. Nicht viele Mädchen tragen Kupferringe, weil die so leicht Grünspan ansetzen.
»Der ist aber hübsch. Von einem Ihrer Ehemänner?«
»Nein, nur ein Freundschaftsring.«
»Von einem Mann?«
»Ja, von einem Mann«, bestätigte sie, als ich die Mundwinkel herabzog, zum Zeichen dafür, was ich von Frauen hielt, die ohne männlichen Beschützer lebten, dafür aber Verehrer hatten, die sie einfach als »Freund« ausgaben.
Sie zog die Hände zurück. »Was hatten Sie für einen Eindruck von Novus?«
»Er ist schon zu festgefahren in seinen Ansichten, und Sie sind viel zu gescheit für ihn …«
»Die gängige Weichenstellung für eine Ehe!« parierte sie.
»Unfug! Wie lange wollen Sie Ihr Leben noch damit vergeuden, mittelmäßige Geschäftsleute zu hätscheln?«
»Besser, ich mach’s jetzt, solange ich noch voll bei Kräften bin, als später, wenn ich vielleicht selbst ein bißchen verhätschelt werden möchte!«
»Ja, aber sind Sie einstweilen wirklich so nachgiebig, wie Sie es den Männern vorgaukeln?« Sie lächelte unergründlich. »Wenn ich vorhin richtig verstanden habe, wollte Novus doch etwas mit mir besprechen. Aber dann hat er gar nichts gesagt.«
»Er wollte erst sehen, ob Sie ihm gefallen.«
»Und? Hab ich den Herrn beeindruckt?«
»Ich kann Ihnen immerhin sagen, um was es ging. Wenn Sie weiter für Pollia arbeiten, dann könnten Sie nebenher auch gleich was für Novus tun.«
»Tut mir leid«, versetzte ich rasch, denn ich hatte den Verdacht, daß sie da wieder etwas ausgeheckt hatte. »Ich kann nur jeweils einen Klienten betreuen. Trotzdem würde ich gern hören, was er will.«
»Schutz.«
»Autsch! Meine Prellungen sind noch nicht verheilt, also bringen Sie mich nicht zum Lachen, Zotica!«
Zum ersten Mal riß ihr der Geduldsfaden. »Müssen Sie ständig mit meinem Sklavennamen um sich werfen wie mit der Keule des Herkules?«
»Der Mensch sollte zu seiner Herkunft stehen …«
»Ach was, heuchlerisches Gewäsch!« zischte sie zurück. »Sie sind ein freier Bürger, sind’s immer gewesen, Sie haben ja keine Ahnung.«
»Falsch, Zotica. Ich kenne Armut, harte Arbeit und Hunger. Ich lebe mit meinen Enttäuschungen. Ich ertrage den Spott der Reichen und ihrer Sklaven. Meine Wünsche übersteigen meine Möglichkeiten ebenso himmelweit wie die einer armen Kreatur, die angekettet in einem dreckigen Käfig haust und in den Thermen die Feuer richtet …«
»Was sind denn das für Wünsche?« fragte sie, aber mir war dieses Gespräch bereits viel zu vertraulich.
Wir standen immer noch – ich auf dem Sprung – in der Tür zum Speisezimmer, doch Severina wollte mich anscheinend nicht so einfach gehen lassen.
»Ich stelle fest, daß ich mich gern mit Ihnen unterhalte«, gestand sie. »Ist das Ihre Methode, die Leute mürbe zu kriegen?«
»Es kommt nie viel dabei heraus, wenn man einem Verdächtigen seinen Spaß läßt.«
»Es ängstigt mich, wenn Sie so offen sprechen!«
»Gnädigste, was meinen Sie, wie bange mir erst ist!«
Plötzlich lächelte sie. Es war ein Lächeln, wie ich es nicht zum erstenmal im Leben sah: die gefährliche Waffe einer Frau, die sich in den Kopf gesetzt hat, wir wären dicke Freunde, sie und ich. »Jetzt will ich Ihnen verraten, warum ich wirklich zu der Astrologin gegangen bin«, versprach Severina. »Hoffentlich begreifen Sie dann, daß ich mir ehrlich Sorgen um Novus mache.« Ich legte den Kopf schief und wahrte meine Neutralität. »Er hat Feinde, Falco. Novus ist bedroht worden – und den Drohungen folgten rätselhafte Unfälle. Das fing schon an, bevor wir uns kennenlernten, und kürzlich ist wieder sowas passiert. Ich habe mich bei Tyche mit seinem Wissen – ja sogar in seinem Namen – erkundigt, ob er ernsthaft in Gefahr schwebt.«
Ich unterdrückte ein Grinsen. Sie wußte ja nicht, daß ich auch beobachtet hatte, wie sie einen Grabstein für den unglücklichen Mann bestellte. »Wer sind denn seine Feinde? Und was genau haben sie ihm angetan?«
»Werden Sie uns helfen?«
»Ich sagte doch schon, ich kann immer nur für eine Partei arbeiten.«
»Wenn das so ist, würde Novus nicht wollen, daß ich Ihnen noch mehr erzähle.«
»Wie Sie meinen.«
»Aber was kann er denn nur tun?« jammerte sie besorgt – eine hervorragende Schauspielerin.
»Die beste Art, mit einem Feind umzugehen, ist die, ihn sich zum Freund zu machen.« Severina sah mich an, und ich las in ihren Augen den Spott über meinen frommen Rat. Einen Moment lang keimte eine gefährliche Wahlverwandtschaft zwischen uns auf. »Also schön, ich geb es zu: Am besten ist es, ihn reinzulegen.«
»Falco, wenn Sie uns schon nicht helfen wollen, dann machen Sie sich wenigstens nicht auch noch über uns lustig!«
Falls sie mich anschwindelte, war das eine beachtliche theatralische Leistung. Aber ich schloß trotzdem die Möglichkeit nicht aus, daß sie eine Lügnerin war.
XXVII
Den Nachmittag brachte ich damit zu, mir auf dem Forum die abgedroschenen alten Geschichten anzuhören, die das Bummelantenpack vom Rostrum als Neuigkeiten feilbot. Anschließend ging ich in mein Gymnasium, wo ich ein bißchen trainierte, ein Bad nahm, mich rasieren ließ und mit dem wirklich aktuellen Klatsch eindeckte. Dann widmete ich mich zur Abwechslung mal wieder meinen Privatangelegenheiten, sprich meiner Mutter und meinem Bankier. Beides waren von Haus aus heikle Unterfangen; diesmal aber kam noch erschwerend hinzu, daß, wie ich erfuhr, alle beide von Anacrites, dem Oberspion, heimgesucht worden waren. Seine Nachstellungen wuchsen sich allmählich zu einem Problem aus. Anacrites hatte Didius Falco offiziell zum Ausbrecher erklärt. Und als meine Mutter einwandte, sie habe doch mit ihrem Geld für mich gebürgt, schnauzte Anacrites zurück, daß ich dann eben obendrein auch noch ein Kautionspreller wäre.
Mama war völlig aufgelöst. Mich fuchste am meisten, daß man mich vor meinem Bankier als unsicheren Kantonisten hingestellt hatte. Dergestalt meine künftige Kreditwürdigkeit zu untergraben war nun wirklich ein gemeiner Trick.
Als ich meine Mutter endlich beruhigt hatte, war ich selbst trostbedürftig, also machte ich mich auf zur Porta Capena. Wieder Pech: Helena war zwar zu Hause, aber die Hälfte ihrer betuchten Camillus-Verwandten auch; der Senator gab ein Fest zu Ehren einer steinalten Tante, die Geburtstag hatte. Der Pförtner, der an meinem saloppen Aufzug sah, daß ich nicht zu den Glücklichen gehörte, die eingeladen waren, ließ mich bloß rein, weil er sich den Spaß machen wollte, zuzusehen, wie seine Herrschaft mich wieder an die Luft setzte.
Helena trat aus einem Empfangssalon; getragene Flötentöne wehten ihr hinterdrein, bis sie die Tür schloß.
»Tut mir leid, wenn ich ungelegen komme …«
»Es ist schon fast ein Ereignis«, versetzte Helena kühl, »wenn du dich überhaupt mal hier blicken läßt!«
Das ließ sich gar nicht gut an. Der Vormittag bei Severina hatte mir den Appetit auf neckisches Geplänkel verdorben. Ich war müde; ich wollte getröstet und betüttelt werden. Statt dessen warf Helena mir vor, daß man mich zu dem Fest hätte einladen können, wäre ich nur am Abend zuvor bei der Hand gewesen, als ihr Vater die Vorbereitungen traf. Abgesehen von der Ahnung, daß Camillus Verus sympathischerweise den Geburtstag seines Tantchens offenbar bis zur letzten Minute verdrängt hatte, kriegte ich auch einen Eindruck davon, wie peinlich es für Helena gewesen war, nicht sagen zu können, wann (falls überhaupt) sie ihren wankelmütigen Kavalier wiedersehen würde …
»Helena, mein Herz«, flehte ich unterwürfig, »du bist bei mir, wo immer ich auch bin …«
»Billige Sophisterei, weiter nichts!«
»Billig bedeutet einfach und schlicht – einfach und schlicht wie die Wahrheit!«
Billig hieß schlicht und einfach unglaubwürdig. Sie verschränkte die Arme. »Falco, als Frau bin ich’s gewohnt, daß meine Treue für selbstverständlich genommen wird. Ich weiß, daß ich geduldig zu warten habe, bis du dich heimtrollst – betrunken oder verletzt oder beides …«
Ich verschränkte die Arme, wie man das so macht, und dabei ganz unbewußt Helena nachahmend. Zum Vorschein kam der gräßliche blaue Fleck knapp unter einem Ellbogen. »Helena, ich bin nicht betrunken!«
»Aber du hast Prügel bezogen!«
»Mir fehlt nichts. Bitte, wir wollen jetzt nicht streiten. Ich stecke bis über beide Ohren in dem neuen Fall, und ich brauche all meine Kraft, um damit klarzukommen …«
»Oh, wie konnte ich’s nur vergessen: Du bist ja ein Mann!« höhnte sie. »Und Männer vertragen nun mal keine Kritik!«
Mitunter habe ich mich schon gefragt, wie ich mich nur in so einen ausgewachsenen Zankteufel ohne jedes Gespür für angemessenes Timing verlieben konnte. Da ich außer Dienst und folglich nicht sehr auf der Hut war, gestattete ich mir eine diesbezügliche Bemerkung, gefolgt von einer rhetorisch glänzenden Beschreibung der vorwitzigen Zunge des Fräuleins, ihres hitzigen Temperaments – und ihres beklagenswerten Mangels an Vertrauen zu mir.
Kurzes Schweigen, und dann: »Marcus, sag mir, wo du gewesen bist.«
»Auf Tuchfühlung mit der Kupfervenus von diesem Hortensius.«
»Ja.« Helena nickte traurig. »Das dachte ich mir.«
Nach ihrem Ton zu schließen, hatte sie ihren Moralischen. Ich sah sie mir genauer an: Zu Helenas Vorstellung vom Trübsalblasen gehörten ein flammend rotes Gewand, eine wie ein Hyazinthenkranz ins Haar geflochtene Glasperlenschnur und das beherzt-vergnügte Bad in der Menge. Ich wollte mich eben mit einer gesalzenen Neckerei revanchieren, als ein junger Mann aus dem Festsaal trat.
Dem Geburtstag der Senatorentante zu Ehren trug er eine Toga, neben deren flauschigem Flor sich meine abgewetzte Werktagstunika besonders schäbig ausnahm. Auf seinem flotten Haarschnitt thronte ein schimmernder Kranz. Er hatte jene ausgeprägten aristokratischen Gesichtszüge, auf die die meisten Frauen fliegen, auch wenn eigentlich nichts weiter dahintersteckt als himmelschreiende Arroganz.
Er nahm an, daß Helena uns einander vorstellen würde. Ich wußte es besser; sie war zu verärgert über meinen unerwünschten Auftritt. Ich grinste ihn jovial an. »’n Abend. Gehören Sie zur Familie, ja?«
»Ein Freund meiner Brüder«, warf Helena ein, die sich rasch wieder gefangen hatte. Das adlige Bürschchen blickte fragend auf meine plebejische Wenigkeit, doch sie zeigte ihm, wo’s langging, energisch wie immer. »Sie werden verzeihen, aber Falco und ich haben etwas Geschäftliches zu besprechen.«
Mit eingezogenem Schwanz kehrte er in den Festsaal zurück.
Ich zwinkerte Helena zu. »So, so, ein Freund deiner Brüder, wie?«
»Es ist eine betagte Gesellschaft. Meine Eltern haben ihn als Tischherrn für mich eingeladen. Du warst ja nicht erreichbar.«
»Und selbst wenn, Helena. Sie hätten mich ja doch nicht dabei haben wollen.«
»Falco, vielleicht hätte ich dich aber gern dabeigehabt.«
»Du scheinst dich jedenfalls gut zu trösten.«
»Was bleibt mir anderes übrig!« warf sie mir heftig vor. »Im übrigen hätte Papa dich sehr wohl eingeladen, aber wer weiß denn schon, wo du heutzutage wohnst?«
Ich nannte ihr meine neue Adresse. Sie erwiderte hoheitsvoll, nun könne ihr Vater mir wenigstens das ausrangierte Sofa schicken, das man mir versprochen habe. »Papa wollte dich übrigens gestern dringend sprechen. Anacrites hat sich nämlich bei ihm nach dir erkundigt.«
Ich fluchte. »Der Kerl ist die reinste Pest!«
»Du mußt etwas gegen ihn unternehmen, Marcus. Wie kannst du deine Arbeit machen, wenn er dir dauernd im Nacken sitzt?«
»Ich kümmere mich drum.«
»Versprochen?«
»Ja, ja. Ach, das Leben wird immer komplizierter!« Dann lenkte ich das Gespräch zurück auf mein neues Domizil. »Also, ich bewohne zwei Zimmer, in das dritte kommt mein Büro, da bleibt eins übrig, in das du ohne weiteres einziehen könntest.«
»Eine tolerante Haushälterin, eine Bettgenossin zum Nulltarif – und ein tapferes Geschöpf, das die Krabbeltiere fängt, die nachts aus den Dielenritzen kriechen! – Halt, das war falsch!« rief Helena und korrigierte sich gleich selbst: »Ein scheues Reh, das dich den Helden spielen läßt, der den Ungeheuern den Garaus macht!«
»Also, mein Angebot steht, aber ich habe nicht vor, es noch mal zu wiederholen.« Sie wußte das; es war nicht mein Stil, um ihre Gunst zu betteln. »Dein edler Papa vermißt dich gewiß schon auf seinem Fest, also mach ich mich jetzt lieber auf die Socken.«
Helena reagierte wie üblich auf die hochnäsige Tour: »Das wird wohl das beste sein, ja.« Aber dann wurde sie doch weich. »Kommst du wieder?«
»Wenn ich kann.« Ich begnügte mich mit dem schwachen Flattern in ihrer Stimme als Ersatz für eine Entschuldigung. »Ich hab nur gerade sehr viel um die Ohren. Aber nachdem ich das Frauenzimmer jetzt kennengelernt habe, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis ich ihr auf die Schliche komme.«
»Das heißt also, du kommst nicht wieder, ehe dieser Fall abgeschlossen ist?«
»Klingt wie’n Rausschmiß.«
Helena reckte das Kinn. »Wenn hier jemand den Laufpaß kriegt, dann ja wohl ich! Es war doch nur ein ganz vernünftiger Vorschlag.«
Ich biß die Zähne zusammen. »O ihr Götter, wie ich es hasse, wenn Frauen vernünftig sind! Paß auf: entscheide du. Ich komme, wenn du mich rufst. Du weißt ja nun, wo ich zu finden bin, falls du mich brauchst.«
Ich wartete darauf, daß sie mich umzustimmen versuchte, aber Helena konnte ebenso stur sein wie ich. Es war nicht das erste Mal, daß wir uns in einem völlig sinnlosen Streit festgefahren hatten.
Ich ging. Sie ließ mich ziehen. »Warte mal, Schatz, ich hab’s! Was ich wirklich brauche, ist ein Mädchen, das daheim sitzt und Mitteilungen entgegennimmt!«
»So eine kannst du dir aber nicht leisten«, sagte Helena.
XXVIII
Meine Prahlerei, ich würde den Fall rasch lösen, war voreilig gewesen. In Wirklichkeit war noch kein Ende abzusehen, ja wie ich bald merken sollte, kam die Affäre eigentlich erst richtig ins Rollen.
Als ich von der Porta Capena heimwärts schlurfte, dachte ich freilich weniger über meine Arbeit nach als über die Frauen. Ein normaler Vorgang – der mich allerdings heute abend schwerer belastete als sonst. Meine Klientinnen, Severina, meine Geliebte, meine Mutter, sie alle wollten mir meinen Seelenfrieden rauben. Sogar meine Schwester Maia, der ich schon einen Besuch schuldig war, seit Mama mich aus dem Kittchen geholt hatte, reihte sich in diese Kette ein, weil ich immer noch nichts unternommen hatte, um ihr für die Rettung meiner Wettmarken zu danken, die doch schließlich mein neues Heim finanzierten … Das alles wuchs mir über den Kopf. Ich mußte endlich die Initiative ergreifen! Aber die beste Initiative heißt stillhalten und abwarten. Ich würde mich zurückhalten, mir eine Verschnaufpause gönnen und die Damen sachte schmoren lassen.
Ich nahm mir vor, die nächsten drei Tage zu meinem eigenen Vergnügen und Vorteil zu nutzen. Zwei Tage lang hielt ich das sogar durch: keine schlechte Erfolgsquote für einen Plan, der von mir selbst stammt.
Den ersten Vormittag blieb ich im Bett und dachte nach.
Und da ich offiziell immer noch für den Kaiser arbeitete (weil ich mir nie die Mühe gemacht hatte, ihm zu kündigen), ging ich als nächstes auf den Palatin und bat um eine Audienz bei Vespasian. Den ganzen Nachmittag lungerte ich in diesem Labyrinth von Palastverwaltung rum, bis sich endlich ein Lakai dazu herabließ, mir mitzuteilen, der Kaiser sei verreist und genieße die Sommerfrische in den Sabiner Bergen. Jetzt, da er den Purpur trug, besann der alte Herr sich gern auf seine einfache Herkunft, indem er die kaiserlichen Sandalen abstreifte und mit bloßen Füßen im Staub seiner alten Familiengüter rumstapfte.
Aus Angst, ich könnte Anacrites in die Arme laufen, wenn ich zu lange blieb, verließ ich den Palast und beehrte meine Freunde mit Falcos Gesellschaft. An diesem Abend speiste ich mit Petronius Longus in dessen Haus. Da er eine Frau und drei kleine Kinder hatte, wurde es ein ruhiges Mahl, das früh und (für unsere Verhältnisse) ziemlich nüchtern zu Ende ging.
Am nächsten Morgen erneuerte ich mein Audienzgesuch, diesmal aber bei Titus Caesar, Vespasians ältestem Sohn. Titus regierte das Reich in echter Partnerschaft mit Vespasian, verfügte also über genügend Autorität, um mir bei meinen unbedeutenden Scherereien mit Anacrites auszuhelfen. Er war außerdem bekannt für sein weiches Herz. Das wiederum hieß, mein Gesuch würde auf einem ganzen Haufen von Bittschriften zwielichtiger Typen landen, die alle über ihr angeblich unverschuldetes Pech lamentierten. Titus arbeitete fleißig, aber unter der Augusthitze würde auch der Strom der Barmherzigkeit leiden und sich stockender als gewöhnlich über das Heer abgewrackter armer Schlucker ergießen.
Während meine Klageschrift der strapazierten Aufmerksamkeit unseres jungen Caesars harrte, ging ich mit meinem Schwager Famia zum Pferdemarkt. Mich von meinem Goldschatz zu trennen, tat mir in der Seele weh, aber man konnte schließlich nicht erwarten, daß der Rennstall, in dem Famia als Tierarzt für die Grünen arbeitete, meinem Pferd ewig Logis gewährte – jedenfalls nicht gratis, wie es zur Zeit (ohne Wissen der Grünen) der Fall war. Also versteigerten Famia und ich den armen alten Goldschatz, bevor der Preis für sein Futter den schönen Wettgewinn aufzehren konnte. Mit einem stattlichen Batzen Geld in der Tasche zog ich in die Saepta Julia, wo ich erst auf einen geschwärzten Kandelaber reinfiel, der aussah, als würde er sich aufpolieren lassen (natürlich ein Irrtum), und dann auf einen ägyptischen Kartuschenring (der beim Anprobieren wunderbar paßte, sich bei mir daheim jedoch als zu groß erwies). Schließlich durchstöberte ich noch ein paar Literaturhandlungen und erstand einen Armvoll griechischer Theaterstücke (fragen Sie mich nicht, warum; ich hasse griechische Dramen). Ich brachte meiner Mutter einen kleinen Zuschuß zum Haushaltsgeld und deponierte am Ende den Rest meiner Barschaft in meinem Bankfach auf dem Forum.
Als ich am nächsten Tag immer noch keine Einladung bekam, zum Palast hinaufzupilgern, um Titus mit meiner Leidensgeschichte zu erheitern, ging ich endlich doch zu meiner Schwester Maia. Sie ließ mich fast den ganzen Vormittag in ihrer Küche rumlungern, woraus sich zwanglos ein gemeinsames Mittagessen ergab, gefolgt von einem Nickerchen auf ihrer Sonnenterrasse. Ich versprach ihr ein paar leckere Kuchen vom Pincio, aber Maia, die mich zu nehmen wußte, schaffte es, das Angebot hochzutreiben und mir ein Einweihungsfest in meinem geräumigen neuen Domizil abzuluchsen. Wie ein Spekulant, der verspricht, das Finanzielle mit seinem Bankier zu regeln, machte ich mich aus dem Staub, bevor ein Termin für die Party vereinbart werden konnte.
Petronius und ich zogen an diesem Abend durch verschiedene Weinschenken, um zu prüfen, ob sie noch so gut waren, wie wir sie in Erinnerung hatten. Bei all den Gratisbechern, mit denen die Wirte uns zum Wiederkommen verlocken wollten, den Krügen, die ich spendierte, und den Amphoren, mit denen Petronius (der ein anständiger Kerl ist) mich umgekehrt freihielt, endete dieses Beisammensein weder zeitig noch nüchtern. Ich brachte meinen Freund nach Hause, da ein Wachthauptmann alle möglichen Racheakte befürchten muß, wenn Schurken, die er vielleicht früher mal hinter Gitter gebracht hat, ihn schutzlos und mit Schlagseite durch die Stadt wanken sehen.
Seine Frau Silvia hatte uns ausgesperrt. Aber ein Justizbeamter kann die meisten Schlösser knacken, und die, an denen er scheitert, kriegt ein Detektiv allemal auf. Und so gelangten denn auch wir ins Haus, ohne daß allzu viele Nachbarn die Läden aufstießen und sich lautstark über den Lärm beschwerten. Einen Riegel brachen wir entzwei, aber die Tür an sich blieb unversehrt. Petro bot mir ein Bett an, doch inzwischen war Silvia heruntergekommen und beschimpfte uns aufs übelste; sie versuchte, das Türschloß mit einer Augenbrauenpinzette zu reparieren, während Petro liebevoll an ihr herumtatschte, in der Hoffnung, einen Friedensvertrag aushandeln zu können (was ich für aussichtslos hielt). Dann wachten die Kinder auf, fürchteten sich vor dem Krach, und Petros jüngste Tochter jammerte, daß ihr Kätzchen sich in eine Sandale erbrochen habe – da verdrückte ich mich lieber.
Wie die meisten Entscheidungen, die man nach fünf oder sechs Amphoren eines mittelmäßigen Weins aus billigen Kaschemmen trifft, war auch dies keine gute.
Ein denkwürdiges Ereignis: das erste Mal, daß ich in volltrunkenem Zustand versuchte, meine neue Wohnung zu finden. Ich verirrte mich. Ein großer Hund mit spitzer Schnauze hätte mich um ein Haar gebissen, und etliche Huren riefen mir ungefragt Schimpfworte nach. Als ich dann endlich die Piscina Publica ausgemacht und meine Straße gefunden hatte, entging mir der kleine Grünschnabel von einem Prätorianer, der mich schon sehnlich erwartete – mit einem Haftbefehl von Anacrites, einem schmerzhaften Paar Fußeisen und noch drei Milchbubis von Rekruten in schimmerndem Brustpanzer, die alle scharf wie baetischer Senf darauf waren, ihren ersten richtigen Einsatz hinter sich zu bringen und einen gefährlichen Renegaten festzunehmen, der anscheinend meinen Namen trug.
Nachdem sie mir die Eisen angelegt hatten, ließ ich mich einfach der Länge nach auf die Straße fallen und erklärte ihnen, ich würde sie überallhin begleiten – nur müßten sie mich tragen.
XXIX
Die nächsten beiden Tage verbrachte ich wieder in den Lautumiae, wo ich meinen Kater auskurierte.
XXX
Am zweiten Abend erneuerte ich die Bekanntschaft mit meinem alten Zellengenossen, der Ratte. Ich versuchte, mich auf eine Ecke zu beschränken, um ihr nicht lästig zu fallen, aber sie plierte trotzdem hungrig zu mir rüber. Ich mußte sie enttäuschen, denn ich wurde abberufen. Jemand sehr Einflußreiches bekundete Interesse an meinem Fall.
Zwei der Schulbuben in Prätorianeruniform kamen, um mich abzuholen. Zuerst widersetzte ich mich. Mein Kater war einer leichten Benommenheit gewichen. Ich war absolut nicht in der Verfassung, eine Konfrontation mit Anacrites und den Schlägertypen durchzustehen, deren er sich bediente, um seine Opfer zu Geständnissen zu ermuntern. Doch meine Furcht war unbegründet. Anacrites hätte mich im Loch gelassen, bis mir vor Altersschwäche die Zähne ausgefallen wären und ich das Wasser nicht mehr hätte halten können. Aber dem Wärter entschlüpfte, als er mir gerade einen aufmunternden Tritt vors Schienbein verpaßte, das Geständnis, daß ein hohes Tier nach mir verlangt habe. Mein Gesuch an Titus mußte in dem Stapel Bittbriefe an die Oberfläche gelangt sein …
Die jungen Hüpfer waren ganz aus dem Häuschen vor Aufregung über diese kaiserliche Audienz. In der Vergangenheit hatte es der imperialen Leibwache bisweilen nach einer zünftig durchzechten Nacht gefallen, den ihr anvertrauten Caesar durch den erstbesten zu ersetzen, der ihr ins Auge stach (Claudius, beim Jupiter, oder diese aufgedonnerte Null von Otho). Doch damit war nun Schluß. Gleich nach dem Regierungsantritt seines Vaters hatte Titus die Prätorianer klugerweise seinem direkten Kommando unterstellt; und solange er ihnen an seinem Geburtstag ein anständiges Handgeld zahlte, würden sie an ihrem Oberbefehlshaber hängen wie die Kletten an einem Schäferrock. Und nun sollten Proculus und Justus (falls Sie mal eingesperrt werden, erfragen Sie unbedingt die Namen Ihrer Wärter) schon in der ersten Dienstwoche ihrem berühmten Präfekten von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten – dank meiner Wenigkeit.
Sie schwelgten so im Vorgeschmack des eigenen Ruhms, daß sie mich taktloserweise in Ketten über das offene Forum eskortierten. Aber sie steckten noch zu kurz in Uniform, als daß sie schon jedes Mitgefühl verloren hätten; also ließen sie mich an einem öffentlichen Brunnen meinen Durst stillen, bevor sie mich in den kühlen Cryptoporticus schleiften, jene langgestreckte Eingangsgalerie, die zu den einzelnen Palastbezirken auf dem Gipfel des Palatin führt. Vor dem Wachlokal befahl ihnen ihr Zenturio, ein hartgesottener Berufssoldat, mir die Fußeisen abzunehmen. Er wußte, was sich gehört. Wir wechselten unbemerkt einen Blick und erkannten einander als Veteranen, während er seine unerfahrenen Pimpfe auf schlampig geschnallte Gürtel und Flecken an der Rüstung kontrollierte. Voller Sorge, daß seine Küken einen falschen Schritt tun könnten, begleitete er uns in den Thronsaal.
Im ersten Vorzimmer drängte uns ein Türsteher, der behauptete, nichts von meiner Audienz zu wissen, seitlich in ein Kabuff. Proculus und Justus kriegten rote Backen; der Zenturio und ich waren schon bei anderen Gelegenheiten durch diese dämliche Quarantäne geschleust worden, und so nahmen wir’s gelassen hin.
Eine halbe Stunde später bugsierte man uns in einen Korridor, in dem sich lauter müde Gestalten drängten, denen die Toga schlaff am Leibe hing. Proculus und Justus blickten sich verstohlen an; langsam stieg in ihnen die Befürchtung auf, daß sie noch lange nach Dienstschluß in dieser endlosen Warteschlange festsitzen würden. Aber dann wurde mein Name gleich aufgerufen. Untergeordnete Lakaien scheuchten uns durch die Menge; und nun betraten wir ein düsteres Vorzimmer, wo ein vornehm parlierender Sekretär uns wie Ungeziefer beäugte, während er uns auf einer Liste abhakte.
»Dieser Mann wurde bereits vor einer Stunde aufgerufen! Wo habt ihr denn so lange gesteckt?«
Ein Hofbeamter kam mit Anacrites herein, der sich elegant in grauer Tunika präsentierte; wie das zahme Täubchen eines Zauberers sah er aus – nur nicht so niedlich. Im Gegensatz zu mir war er frisch gebadet und rasiert und hatte das glatte Haar so makellos nach hinten frisiert, wie ich es auf den Tod nicht leiden kann. Er sah damit zwar genau aus wie der Gauner, der er war, aber ich kam mir bei seinem Anblick zerknautscht und kratzbürstig vor, mit einem Mund wie ein ausgetrockneter Mörteltrog. Er glotzte mich mißtrauisch an, aber in diesem Stadium verzichtete ich darauf, ihn niederzumachen. Im nächsten Moment hatten Proculus und Justus auch schon Befehl, mich vorzuführen.
Als wir zwischen imposanten Travertinsäulen in den Saal traten, war Anacrites zunächst der bewährte Beamte und ich der gemeine Galgenstrick, entehrt und unter Kuratel. Aber ich kannte kein Protokoll, das mich gezwungen hätte, es dabei bewenden zu lassen. Nach zwei Tagen in scheuernden Fußeisen fiel es mir leicht, eine tapfere Miene und ein Hinken zu mimen. Was bewirkte, daß Titus Caesar mich als erstes fragte: »Mit Ihrem Bein was nicht in Ordnung, Falco?«
»Bloß eine alte Fraktur, Caesar. Letzten Winter, als ich im Auftrag Ihres Vaters in Britannia war, hab ich mir das Bein gebrochen. Und wenn ich längere Zeit keine Bewegung habe, dann krieg ich Beschwerden …«
»Schluß mit der Mitleidschinderei, Falco!« knurrte Anacrites.
Titus warf dem Spion einen scharfen Blick zu. »Britannia, ich erinnere mich!« Sein Ton war schneidend. Der Auftrag, den ich seinerzeit für seinen Vater erledigt hatte, war streng vertraulich gewesen, und es wurden keine Einzelheiten preisgegeben, aber Anacrites hatte sicher trotzdem Wind davon bekommen. Ich hörte sein ärgerliches Knurren. Und ich sah auch, wie der Sekretär, dessen Aufgabe es war, mitzustenografieren, seinen Stilus diskret ruhen ließ, sobald geheime Staatsgeschäfte zur Sprache kamen. Der Blick aus seinen orientalischen Augen traf sekundenlang den meinen; mit dem feinen atmosphärischen Gespür des Hofbediensteten sah er einen gelungenen Spaß voraus.
Titus winkte einem Sklaven. »Didius Falco bedarf der Schonung. Bring ihm doch eine Sitzgelegenheit.«
Selbst in diesem Stadium brauchte Anacrites sich noch keine Sorgen zu machen. Ich hatte mit meiner radikal republikanischen Gesinnung nie hinterm Berg gehalten. Und im Umgang mit der kaiserlichen Familie hatte ich schon immer meine Schwierigkeiten. Der Oberspion wußte so gut wie ich, was bevorstand: M. Didius Falco würde gleich unhöflich und grob werden und sich damit – wie gewöhnlich – ins eigene Fleisch schneiden.
XXXI
Da waren wir also. Titus entspannt auf seinem Thron, den rechten Fuß überm linken Knie gekreuzt, was den betreßten Falten seiner purpurnen Tunika gar nicht gut bekam. Dem Sklaven erschien es nur natürlich, meinen gepolsterten Fußschemel in die Nähe der einzigen anderen sitzenden Person zu rücken, also stellte er ihn geradewegs vor dem Podest des Caesarenthrons ab. Dann half er mir armem Hinkefuß hinauf. Anacrites trat schon einen Schritt vor, wagte dann aber doch nicht aufzubegehren, sondern schluckte gezwungenermaßen diesen Gunstbeweis seines kaiserlichen Herrn gegen mich. Ich wiederum verkniff mir das Grinsen; dazu war Anacrites denn doch zu gefährlich. Statt dessen hockte ich brav auf meinem Schemel und rieb mir wie von ungefähr das Bein, als ob mich meine armen, geschundenen Knochen plagten …
Titus war dreißig. Zu sehr ein Kind des Glücks, als daß man ihn einfach als hübschen Burschen beschreiben könnte, und zu kontaktfreudig für seinen Rang, auch wenn er sich neuerdings mit Rücksicht auf sein hohes öffentliches Amt gesetzter gab. Selbst jene Bürger, die notgedrungen irgendwo in der Provinz versauerten, kannten sein Gesicht von Münzen her als die weniger zerfurchte Ausgabe der bürgerlichen Physiognomie des Vaters und wußten, daß sein Haar gelockt war. Als Kind hatte er mit diesem Krauskopf seine Mutter womöglich genauso zur Verzweiflung gebracht wie ich die meine, aber wenn Flavia Domitilla noch am Leben gewesen wäre, so hätte sie jetzt beruhigt sein können: Ein ganzer Zirkus von Friseuren hielt ihren Ältesten adrett gestutzt, auf daß er das Reich nicht vor ausländischen Botschaftern blamiere.
Titus und ich ergaben, so nebeneinander, ein hübsches, freundliches Bild. Er hielt meinen Brief in der Hand, und kaum, daß ich mich gesetzt hatte, warf er mir die Rolle zu. Seine Augen funkelten. Titus war sonst immer so huldvoll, daß ich schon einen Streich argwöhnte – aber der Charme war echt. »Was für eine rührende Geschichte!«
»Vergebung, Caesar. Ich bin ein Feierabenddichter; mein Stil neigt zu lyrischem Überschwang.« Titus lächelte. Er war ein Förderer der schönen Künste. Ich befand mich auf sicherem Boden.
Allein, es war der falsche Moment, den Oberspion zu zwingen, daß er stumm unserem vergnügten Geplauder beiwohnte. Von meinem Argwohn angesteckt, gab Titus dem Anacrites das Zeichen, vorzutreten und seinen Fall darzulegen.
Anacrites ergriff sofort das Wort. Ich hatte ihn schon bei anderer Gelegenheit in Aktion gesehen und war auf das Schlimmste gefaßt. Er besaß das Talent des echten Bürokraten, überzeugend zu wirken, egal, was für Lügen er auftischte.
In mancher Hinsicht tat mir dieser charakterlose Karbunkel sogar leid. Er war das klassische Beispiel einer vereitelten Karriere. Erlernt hatte er seinen Beruf vermutlich noch unter Nero, in jenen von Wahnsinn geprägten Jahren des Mißtrauens und Schreckens, als sich einem Geheimagenten scheinbar einmalige Chancen boten. Doch just vor seinem großen Durchbruch kam mit Vespasian ein unverbesserlicher Provinzler an die Macht, der nichts von Palastspionen hielt. Und so mußte Anacrites nun, statt seinen Platz im Mittelpunkt eines weitverzweigten Netzes von untergründig wuselnden Termiten zu genießen, jeden Tag aufs neue den Beweis dafür antreten, daß er noch zu Recht auf der Gehaltsliste stand.
Ohne Witz. Vespasian war knickerig, wenn es um Lohnkosten ging. Ein kleiner Lapsus, ein unbesonnener Fehltritt auf diplomatischem Parkett, eine zu rasch geöffnete Tür, hinter der man ihn schnarchend an seinem Schreibtisch ertappte, während er doch angeblich auf Kontrollgang war, – und schon würde der Oberspion sich als Fischverkäufer auf einer Tiberwerft wiederfinden. Er wußte es. Ich wußte es. Er wußte, daß ich’s wußte. Vielleicht ist damit einiges geklärt.
Ich versuchte gar nicht erst, seine Rede zu unterbrechen. Nein, sollte er ruhig alle Würfel aus seinem Becher verschleudern. Zum Vorschein kam ein tückisch zusammengebrauter Schleim mutwillig entstellter Fakten, an deren Ende er als ehrlicher Profi dastand, dessen Vorgesetzte ihm einen stümperhaften Amateur als Mitarbeiter aufgehalst hatten. Ich ging aus seiner Geschichte eindeutig als gemeiner Dieb hervor.
Eindeutig waren auch die Fakten: Ein paar Bleibarren aus den kaiserlichen Minen hatten in einem Lagerhaus auf Halde gelegen. Ich wußte davon und auch, daß das Schatzamt sie vergessen hatte. Als man mich in die Campania schickte, nahm ich die Barren mit und verkaufte das Blei dort als Material für Wasserleitungsrohre. Den Erlös hatte ich nie zurückgezahlt.
Titus lauschte mit hinter dem Kopf verschränkten Händen. Er selbst war kein großer Redner, aber er hatte seine Zeit als Rechtsanwalt absolviert, bevor er zu Höherem berufen wurde. Trotz seiner überschäumenden Energie verstand er sich aufs Zuhören. Erst als er sicher sein konnte, daß Anacrites zu Ende war, wandte er sich an mich.
»Die Vorwürfe gegen Sie scheinen berechtigt. Die Bleibarren gehörten dem Staat; Sie haben sie sich ohne Erlaubnis angeeignet.«
»Anacrites ist ein guter Redner; das war ein schönes Muster an Rhetorik. Aber seine Klage, Caesar, ist gegenstandslos.«
Titus stutzte. Ich hatte seine volle Aufmerksamkeit; er saß jetzt vorgebeugt und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Caesar, gerade ich hatte allen Grund, diese Bleibarren zu achten. Wahrscheinlich habe ich nämlich einen Teil des dazugehörigen Erzes mit eigener Hand aus dem Flöz gehauen!« Ich hielt inne, um den Anwesenden Zeit zu lassen, diese neuerliche Anspielung auf meine Mission in Britannia zu verdauen. Ich hatte mich damals gezwungenermaßen als Bleiminensklave getarnt. »Ein hartes Los, Caesar, aber um Eures Vaters willen nahm ich’s auf mich. Und als ich dann diese Barren verkaufte, war das wiederum eine Tarnaktion. Wir suchten einen Flüchtling. Anacrites kann bestätigen, daß es eine arg mühselige Aufgabe war, denn er hat sich ihr selbst etliche Wochen gewidmet …«
Empört reckte der Spion das Kinn vor – Volltreffer! »Ich wurde aufgefordert, meine Erfindungsgabe einzusetzen. Schließlich waren es gerade die unorthodoxen Methoden, derentwegen Ihr Vater mich zusätzlich zu seinem Stammpersonal engagierte …«
»Stimmt«, sagte Titus anzüglich zu Anacrites.
»… in der Rolle eines Schwarzmarktklempners gelang es mir, den Gesuchten aufzuspüren. Die Verkleidung hat sich, wie Sie wohl wissen, bezahlt gemacht, Caesar.«
Mit öliger Stimme erinnerte der Oberspion Titus daran, daß man die von mir geborgten Bleibarren als Beweismittel in einem Verschwörungsprozeß gebraucht hätte.
»Welcher Ankläger hätte wohl mehrere Tonnen Metall vor Gericht auffahren lassen?« fragte ich. »Daß es diese Barren gab, haben wir doch alle gewußt. Zum Beweis dafür gab es Dokumente: Die Prätorianergarde hatte sie in diesem Speicher gelagert, und der Sieger von Jerusalem braucht sich wohl nicht erst von mir sagen zu lassen, daß den Rekruten als erstes eingebleut wird, alles zu zählen, was durch ihre Hände geht …«
Titus lächelte nachsichtig. Ihm wäre es lieb gewesen, wenn ich mich von der Anklage hätte reinwaschen können. Nun bin ich aber nicht naiv. Ich konnte mir denken, warum das Imperium mich gern laufengelassen hätte: Titus und sein Vater hatten bestimmt wieder ein verteufelt kitzliges Problem am Hals, das ich für sie lösen sollte.
»Ich nehme an«, bemerkte Anacrites streng, »Sie hatten die Absicht, das Geld, das Sie beim Verkauf der Bleibarren eingestrichen haben, zurückzuerstatten? Oder ist der Erlös am Ende für Wein und Weiber draufgegangen?«
Ich zeigte mich schockiert. Es war nur eine einzige Frau im Spiel (Helena Justina). Während der Ferien in der Campania hatten allerdings nicht nur wir beide, sondern auch ein Neffe von mir und Petronius Longus nebst Frau und Kindern nach Kräften auf Kosten des Schatzamtes geschlemmt und gebechert, wobei uns meine kaiserliche Mission als Vorwand diente. »An der kleinen Verzögerung bin doch nicht ich schuld, Anacrites! Schließlich haben Sie mich in den Lautumiae eingesperrt, was eine ganz unfaire Behinderung war. Trotzdem habe ich meine wenigen Tage in Freiheit genutzt, um bei meinem Bankier die Überweisung der Schulden an die kaiserliche Privatschatulle zu veranlassen …«
»Na, wie erfreulich!« Titus klang erleichtert. Unterschlagung wäre der einzige Grund gewesen, mich im Knast behalten zu müssen.
»Ich muß Sie allerdings warnen, Caesar«, warf ich rasch ein, »denn da ich das Blei sozusagen unter der Hand verkauft habe, ist der Erlös für mich nicht so groß, wie er es mit offizieller Konzession hätte sein können …«
»Er lügt!« fauchte Anacrites wütend. »Ich habe eine vollständige Liste seiner Vermögenswerte …« Das mußte eine kurze Liste sein! »Dieser Schaumschläger besitzt keinen roten Heller!«
So also wahrte mein Bankier das Bankgeheimnis seiner Kunden … Doch halt! Anacrites hatte sich am Tag vor dem Verkauf meines Rennpferdes meine Privatschatulle zeigen lassen; daß ich inzwischen ein kleines Vermögen erworben hatte, war ihm offenbar entgangen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Und wenn ich mich damit auch ruinieren würde, ich war nicht bereit, mich von so einem hinterhältigen Geheimagenten anschmieren zu lassen. Seufzend sagte ich dem Goldschatz ade (oder vielmehr dem, was nach meinem Kaufrausch in der Saepta Julia noch von dem klingenden Andenken an ihn übrig war).
»Ja, in diesem Thronsaal ist ein Lügner, aber ich bin’s nicht!« Ich zog meinen Siegelring vom Finger. »Caesar, wenn Sie jemanden zu meinem Bankier schicken wollen, dann können wir diesen Fall noch heute zu den Akten legen …« Plötzlich mißtrauisch geworden, nagte Anacrites an seiner Unterlippe.
»So spricht ein rechtschaffener Bürger!« Der triumphierende Caesar bedachte den Spion mit einem Stirnrunzeln, während ein Lakai mit meinem Ring entschwand, um bei meinem Bankier meinen Bankrott einzuleiten. »Damit dürfte sich Ihre Klage erledigt haben, Anacrites!«
»Gewiß, Caesar – vorausgesetzt, das Geld kommt!«
»Sie können mir vertrauen! Schließlich möchte ich nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen freigesprochen werden!« maulte ich pikiert. »Und wenn das hier bloß ein Trick ist, um mich für irgendeine schmutzige Geheimmission dranzukriegen, die von Ihren regulären Beamten keiner übernehmen will, dann ziehe ich, offen gestanden, das Gefängnis vor!«
Titus’ Beschwichtigung war zu beflissen, um ehrlich zu sein. »Didius Falco, Sie sind ein freier Mann – ohne irgendwelche Auflagen!«
»Frei und unabhängig?« feilschte ich weiter.
»Wie gehabt!« antwortete er – aber dann ließ er sich doch vom eigenen Eifer mitreißen: »Wie steht’s, sind Sie denn auch frei genug, um für meinen Vater einen Auftrag zu übernehmen?«
Na wunderbar: Frisch aus dem Gefängnis und schon wieder in Gnaden aufgenommen. Anacrites machte ein finsteres Gesicht. Er hätte sich nicht zu sorgen brauchen. »Es wäre mir eine Ehre, Caesar – aber das Gefängnis ist mir nicht bekommen; ich muß mich erst mal erholen.« Eben erst in Gnaden aufgenommen – und schwupp, schon wieder in Ungnade gefallen.
Titus Caesar kannte mich seit vier Monaten; lange genug. Er kramte seine liebenswürdigste Seite raus, jedesmal ein erhebender Anblick. »Was kann ich tun, damit Sie sich’s anders überlegen, Falco?«
»Nun, als erstes«, begann ich bedächtig, »könnten Sie mir den letzten Auftrag bezahlen, den ich für Vespasian erledigt habe …«
»Und weiter?«
»Es könnte nicht schaden, mich auch für den Auftrag davor zu entlohnen.«
Er schnappte nach Luft. »Britannia? Sind Sie etwa für Britannia noch nicht bezahlt worden?« Ich mimte den ergebenen Diener. Titus erteilte einem Sekretär, der im Schatten seines Throns stand, einen barschen Befehl und versicherte mir dann, daß umgehend Vorkehrungen getroffen würden.
»Danke verbindlichst, Caesar«, sagte ich, in einem Ton, der ihm verriet, daß ich »umgehend« als Palastcodewort für »auf unbestimmte Zeit verschoben« verstand.
»Wenn Sie erst Ihr Geld haben, sehen Sie sich vielleicht doch in der Lage, wieder für uns tätig zu sein?«
»Wenn ich’s erst mal habe! Ach, übrigens« – ich beugte mich so, daß auch Anacrites an meiner Frage teilhaben konnte –, »wenn Ihr Urteil lautet, daß ich gar nicht ins Gefängnis gehört hätte, darf ich dann davon ausgehen, daß meiner alten Mutter das Geld zurückerstattet wird, das sie als Kaution für mich beim Wärter hinterlegen mußte?«
Jetzt saß der Schuft in der Falle! Entweder er ging auf meine Forderung ein oder er mußte den Wärter anschwärzen, der sich mit Mamas Ersparnissen hatte bestechen lassen. Derzeit hatte der Spion das Personal der Lautumiae in der Tasche, und sie ließen ihn eigenmächtig über die Zellen verfügen. Natürlich wollte Anacrites den Status quo beibehalten …
Titus befahl ihm, sich darum zu kümmern. (Titus entstammte einer komischen Familie: Die Frauen respektierten ihre Männer, und die Mannsbilder respektierten ihre Mütter.) Anacrites warf mir einen zornigen Blick zu, der spätere Rache verhieß, und stahl sich fort. Seine Mutter hatte ihn sich nach der Geburt vermutlich einmal kurz angesehen, einen Schrei ausgestoßen und ihn dann in einer dunklen Gasse ausgesetzt.
Nach Anacrites wurden auch Proculus und Justus samt ihrem Zenturio entlassen. Ich spürte, wie die Lakaien sich entspannten, als Titus sich gähnend streckte; offenbar hatte er sich das Verhör mit mir genüßlich bis zuletzt aufgehoben – wie die Olive im Omelette. Er erkundigte sich, ob ich, nunmehr als freier Mann und mein eigener Herr, denn auch frei sei, um im Palatin zu bleiben und mit ihm zu essen.
»Besten Dank, Caesar. Mir scheint, es gibt doch den einen oder anderen erfreulichen Grund dafür, daß ich mich mit der Politik eingelassen habe!«
Der Augapfel des Reiches schenkte mir ein gewinnendes Lächeln. »Vielleicht behalte ich Sie ja auch bloß bei mir für den Fall, daß Ihr Bankier es versäumt, einen gewissen Betrag zu überweisen …«
Ich hätte bei meinem ersten Urteil bleiben sollen. Sich mit Politik einzulassen ist die reine Dummheit.
XXXII
Wie jeder in Rom hatte auch ich gehört, daß Titus gern rauschende Feste gab, die bis zum Morgengrauen dauerten. An Skandale und Skandälchen glauben die Leute immer gern; ich mache da keine Ausnahme. Und nach meinem zweiten Gefängnisaufenthalt war ich durchaus in Stimmung für eine Orgie auf Kosten des Reiches, aber an jenem Abend gab es auf dem Palatin nur eine wohlschmeckende Mahlzeit, begleitet von unaufdringlicher Musik und zwanglosem Gespräch. Vielleicht war Titus ja bloß ein gutaussehender, lediger Bursche, der (ein-, zweimal, als er noch jünger war) mit seinen Freunden die Nacht durchgemacht hatte und deswegen gleich einen lockeren Lebenswandel nachgesagt bekam. Ein Ruf, der ihm bleiben würde, egal, was er in Zukunft tat. Ich fühlte mit ihm. Auch ich war ein gutaussehender, lediger Bursche. Und mein schlechter Ruf war so schwer loszuwerden, daß ich’s gar nicht erst versuchte.
Vor Tisch hatte ich mich im kaiserlichen Bad schon etwas aufgefrischt, und nachdem ich gut gegessen und getrunken hatte, erwachten meine Lebensgeister vollends wieder. Also entschuldigte ich mich unter dem Vorwand, daß ich noch zu arbeiten hätte. Vielleicht lohnte es sich ja, meinen neuen Haarschnitt in der Stadt auszuführen, solange die Wässerchen des Palastfriseurs noch ihren berückenden Duft verströmten. Als er sah, wie ein Sklave mir die Sandalen festschnallte, rief Titus: »Ach, Falco, Sie dürfen übrigens nicht denken, daß ich Ihr Geschenk vergessen hätte!«
»Was denn für ein Geschenk, Caesar?« fragte ich vorsichtig, in der Annahme, daß die versprochene Arbeit gemeint sei.
»Das zum Dank für mein Glück beim Pferderennen!« Beim Donner Jupiters – schon wieder etwas, das ich bestimmt nicht gebrauchen konnte!
Dieser Gaul, der Goldschatz, hatte mir durchaus nicht nur Segen gebracht. Titus hatte auf ihn gesetzt, und er war bekannt dafür, daß er sich in seiner Siegesfreude immer gern erkenntlich zeigte. Jetzt erinnerte ich mich auch, welche Belohnung mir zugedacht war – ich würde all meine Geistesgegenwart brauchen, um mich aus dieser heiklen Situation rauszumanövrieren.
»Eine Ehre und ein Festschmaus, zweifellos, Caesar«, log ich diplomatisch und fügte (weniger geistesgegenwärtig) hinzu, Titus hätte vielleicht Lust, auf eine Kostprobe in der Falco-Residenz vorbeizuschauen … Er versprach, daran zu denken (während ich inständig hoffte, er möge es vergessen).
Mein Geschenk, falls Sie’s interessiert, war ein geradezu legendärer Fisch. Tief in Gedanken versunken, verließ ich den Palatin. Titus wollte mir einen Steinbutt schicken.
Steinbutt war mir ungewohnte Kost – mir und den meisten Bürgern Roms. Ich hatte einmal einen auf einem Fischerboot gesehen, der maß allein in der Breite einen halben Meter. Dieser eine Fisch hätte das Fünf- oder Sechsfache meines Jahreslohns gekostet – allerdings kommt Steinbutt nur selten auf den Markt, da die meisten Fischer, denen einer ins Netz geht, ihn gleich geschäftstüchtig dem Kaiser offerieren.
Jetzt saß ich in der Zwickmühle. Ich konnte kochen. Tat es sogar gern. Nach fünf Jahren schlampiger Solowirtschaft war ich ein Meister der Ein-Personen-Küche; ich konnte fast alles Eßbare grillen, pochieren oder braten, je nach Bedarf auf engstem Raum, ohne anständiges Kochgeschirr und nur mit den allernotwendigsten Zutaten. Meine besten Schöpfungen schmeckten köstlich, und meine schlimmsten Verirrungen waren im Abfalleimer gelandet, bevor mir davon schlecht werden konnte. Aber natürlich konnte selbst ich keinen Steinbutt in ein paar Tropfen Olivenöl auf einem gewöhnlichen Rost über ein paar kokelnden Zweigen zubereiten. Für das Wunderding, das Titus mir versprochen hatte, würde man einen riesigen Fischkessel brauchen und eine kolossale Servierplatte, die raffinierten Künste eines erstklassigen Saucenchefs mit Hochleistungskochstelle, einen Trupp livrierter Sklaven, um meinen lechzenden Gästen die königliche Kreatur würdig aufzutischen, ein Orchester und eine Ankündigung im Tagesanzeiger.
Meine einzige echte Alternative war, den Fisch weiterzuverschenken.
Ich wußte das. Und ich wußte auch, was ich vermutlich statt dessen tun würde.
Als ich aufs Forum kam, machte ich am Tempel der Vesta halt. Zu meiner Linken, beim Rostrum, wurde gerade ein reicher alter Knabe von einem Bankett heimgebracht: Seine überdachte Sänfte war von acht Leibwächtern flankiert, deren Fackeln wie gut gedrillte Glühwürmchen auf und nieder tanzten, als sie die steile Kurve des Vicus Argentarii nahmen.
Im Palast hatte ich jedes Zeitgefühl verloren. Es war ein warmer Augustabend, das klare Nachtblau des Himmels spielte hie und da in schmeichelndes Violett hinüber. In den Speisehäusern herrschte noch reger Betrieb, und obwohl manche Läden schon geschlossen und verriegelt waren, kam ich doch bei einem Möbeltischler, einem Spiegelverkäufer und einem Goldschmied vorbei, die alle ihre Schiebetüren noch offen und Licht brennen hatten; drinnen bewegten sich Hunde, Kleinkinder und umgängliche Frauenzimmer. Um die Kneipentische auf dem Trottoir scharten sich die Gäste noch immer dicht gedrängt, und keiner machte Miene, Becher oder Würfelbrett im Stich zu lassen. Die gefährlichen Zeitgenossen, die nach Einbruch der Dunkelheit in Rom regierten, waren sicher schon unterwegs, aber noch hatte die Bürgerschaft ihnen die Straßen nicht geräumt.
Es war allerhand los in der Stadt. Vor einem brennenden Haus blieb ich stehen, um mit anderen Schaulustigen Maulaffen feilzuhalten. Aus dem vierstöckigen Gebäude drang schon vom Keller bis zum Dach dichter Rauch. Die ärmeren Mieter hatten ihre Habe in Bündeln zusammengerafft und waren hinaus auf die Straße gerannt; ein reicher, alter Knopf, vermutlich der Hausbesitzer, der sich abmühte, sein mit Schildpatt eingelegtes Bettgestell durch die Tür zu zerren, behinderte die städtischen Feuerwehrmänner, die mit ihren Eimern hinein wollten. Schließlich wurden sie alle miteinander in die Flucht geschlagen, als das ganze Gebäude in helle Flammen aufging. Der Besitzer blieb, den Kopf in die Hände gestützt, auf dem Pflaster sitzen und schluchzte, bis ein vorbeifahrender Bonze aus einem schmuddeligen braunen Tragstuhl sprang und sich erbot, das Grundstück zu kaufen. Ich traute meinen Ohren kaum. Der älteste Schwindel der Welt – aber der Narr mit dem brennenden Bett preßte sich bloß ein Kissen vors Herz und schlug auf der Stelle ein.
Bis jetzt hatte ich angenommen, jeder wisse inzwischen, wie Crassus seinen sagenhaften Reichtum angehäuft hatte – indem er in Rom rumkutschierte und überall, wo es brannte, die armen Opfer ausplünderte, solange die noch unter Schock standen. Heute, dachte ich, würde keiner mehr auf so hilfsbereite Haie reinfallen, die einem eben abgebrannten armen Wicht vor noch rauchenden Trümmern ein kümmerliches Handgeld für sein Grundstück boten – mit dem Hintergedanken, das Haus mit sattem Profit wieder aufzubauen, sobald die Asche erkaltet war. Augenscheinlich gab es aber doch immer noch Dummköpfe, die schwach wurden, sobald Bargeld lachte … Einen Moment lang überlegte ich, ob ich eingreifen sollte, aber die Verhandlungen waren schon zu weit gediehen; abgewiesene Baulöwen sind notorisch rachsüchtig, und in einen Fall von Vertragsbruch verwickelt zu werden, konnte ich mir nicht leisten.
Etwa in der Mitte der nächsten dunklen Gasse stieß ich mit dem Fuß gegen etwas Hartes, das sich als Zunderbüchse entpuppte; sie lag neben einem Lumpenknäuel, das jemand in großer Eile hatte fallen lassen.
Demnach verließen die Spekulanten sich heutzutage also nicht mehr bloß aufs Glück, wenn sie nach dem nächsten Bauplatz Ausschau hielten. Jetzt, da das Haus nur noch ein Haufen Asche war, würde es sich kaum mehr beweisen lassen, aber dieses Feuer war ohne Zweifel durch Brandstiftung entstanden.
Über dem Capitol blinkten die Sterne. Kleine Sklavenknaben, deren Herren noch beim Bankett saßen, verschliefen, auf ihre Laternen gestützt, die Wartezeit im Hauseingang der Gastgeber.
Die Fuhrleute nahmen ihren Abendbetrieb auf, und bald hallte die Luft wider vom Rattern der Räder. In das Klirren billiger Metallbeschläge an den Pferdegeschirren mischte sich, als ich an einem überteuerten Lokal vorbeikam, das melodische Gebimmel der Silberglöckchen an den schlanken Fesseln der Tanzmädchen. Auf dem Weg durch schummrige Sträßchen stolperte ich mitunter über leere Amphoren, die achtlose Wirte haufenweise vor die Tür gestellt hatten. Auf einer Hauptstraße trat ich, zwischen getrocknetem Schlamm und Mauleselkot, hin und wieder auch auf Blütenblätter, die den Gästen einer Abendgesellschaft beim Kommen und Gehen aus den Kränzen geweht waren. Die Nacht sprühte nur so vor Leben. Ich ging als freier Mann durch meine Stadt, und ich war durchaus noch nicht reif fürs Bett.
Für einen Besuch in einem Senatorenhaus war es freilich schon zu spät. Und auf eine Visite bei meinen Verwandten verspürte ich nicht die geringste Lust. Statt dessen lenkte ich meine Schritte nach Norden. Die Hortensius-Sippe machte ganz den Eindruck, als ginge es in ihrem Hause bis spät in die Nacht hoch her. Außerdem war es beinahe meine Pflicht, mich bei Sabina Pollia und Hortensia Atilia dafür zu entschuldigen, daß ich die letzten paar Tage handlungsunfähig gewesen war. Und ich mußte mich bei den Damen erkundigen, ob ihnen nach meiner Begegnung mit Hortensius Novus an Severinas Mittagstisch schon eine Veränderung aufgefallen war.
Der ganze Pincio war um diese Stunde lebendig. Bei Tage wirkten die Privatvillen hier oben vornehm ruhig. Aber des Nachts pulsierten Häuser und Gärten vor Geschäftigkeit. Da wurden auf dem eleganten Hügel lukrative Verträge, geschäftliche und private (legaler oder anderer Art), ausgehandelt. Einige waren bereits gesiegelt. Und von diesen betraf einer auch mich.
Vom Forum bis zum Pincio braucht man, das Ausweichen vor Pennern, Huren und Betrunkenen mitgerechnet, eine halbe Stunde. Als ich von der Via Flaminia abbog, hatte Rom sich unmerklich verwandelt. Die violetten Farbspiele am Horizont waren erloschen, und das triste Grau in Grau des Himmels mahnte jetzt zu erhöhter Wachsamkeit. Die Guten würden nun heimgehen, während für die Bösen der Tanz begann. Auch mein Gemüt reagierte auf den Stimmungswechsel. Ich ging unwillkürlich rascher und hielt mich immer sorgfältig in der Straßenmitte. Alle Sinne waren geschärft. Ich wünschte mir, ich hätte ein Messer dabei gehabt.
Das Pförtnerhaus bei den Hortensii war nicht besetzt. Ich ging durch den Garten und sah mir jeden dunklen Strauch zweimal an. Fackeln säumten die Auffahrt vor dem Haus; manche brannten noch, einige waren vornübergekippt und qualmten, die meisten aber waren schon erloschen.
Die Familie hatte offenbar ein Fest gegeben. Das Hauptportal stand noch offen, und die Empfangssäle strahlten im Lampenschein. Ich schnupperte den Duft jener Parfüms, mit denen man Bankettgäste einzunebeln pflegt – das leichte und doch penetrante Aroma von Rosenblüten, das mich immer unangenehm an Verwesung erinnert. Doch ich konnte nirgends mehr Musik hören, und es war kein Mensch zu sehen. Dann, plötzlich, wurde ein Vorhang zurückgeschlagen und heraus kam eine schnatternde Herde von Dienern, deren Unbekümmertheit verriet, daß sie ohne Aufsicht waren.
Einer von ihnen alberte mit einem Tamburin herum; ein anderer schlürfte Wein direkt aus einem goldenen Krug, wobei ihm die Hälfte über die Tunika tropfte. Die Burschen bemerkten mich im selben Augenblick, da ich den Botengänger Hyacinthus erkannte, jenen dürren Sklaven, der mich seinerzeit angeworben hatte. Wie die anderen trug auch er eine Tunika mit mehr Zierat dran als Stoff, ein obszönes Phantasiekostüm mit glitzernden, schlangenförmig gesteppten Bordüren, das offenbar die Galalivree der Hortensii vorstellte und an einem Abend wie heute unerträglich schwer und heiß sein mußte. »Sieht aus, als wär’s heute abend hier recht lustig zugegangen!« sagte ich.
»Willkommen, Fremder! Man munkelte, Sie säßen im Gefängnis.«
»Böswilliger Klatsch! Was hattet ihr denn für ein Fest – ’n besonderer Anlaß?«
»Nur ein Essen mit einem alten Bekannten.«
»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
»Geschäftlich.« Das hätte ich mir denken können. In diesem Haus drehte sich ja alles ums Geschäft. »Waren sie angemeldet? Pollia und Atilia sind schon zu Bett gegangen …«
Ich grinste. »Ich bin nicht mutig genug, eine der Damen in ihrem Schlafzimmer zu stören!« Ein Sklave kicherte.
»Die Männer müßten aber noch auf sein«, meinte Hyacinthus.
Ich war bisher weder mit Crepito noch mit Felix zusammengetroffen. Ein Gespräch mit Novus wäre vielleicht ganz nützlich gewesen, aber wenn dabei mehr rauskommen sollte als neulich bei unserem Minimalplausch bei Severina, dann mußte ich ihn allein sprechen. »Hyacinthus, ist Severina heute abend auch da?«
»Sie war schon seit dem Nachmittag hier, aber die letzten paar Stunden habe ich sie nicht mehr gesehen.«
Ein anderer warf ein: »Ihre Träger sind fort; also ist sie wohl heimgegangen.«
»Könnte ich dann mit Novus sprechen?« Ein junger Bursche erbot sich, nachzufragen.
Die Sklaven hätten gern weiter ihren Spaß miteinander getrieben und wollten mich los sein. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis der junge Bursche zurückkam. Novus, sagte er, sei nicht in seinem Schlafzimmer und auch nicht bei Crepito und Felix, obschon die ihn auf einen Schlummertrunk erwarteten.
Die Haussklaven zeigten weiter kein Interesse, aber nachdem ich schon so weit gelaufen war, fand ich es gar zu trostlos, mit nichts als Blasen an den Füßen umzukehren. »Novus muß doch irgendwo rumspringen!«
Der mit dem goldenen Weinkrug lachte. »Als ich ihn zuletzt sah, da ist er tatsächlich gesprungen – schmerzgekrümmt und schnell wie der Blitz!«
»Vielleicht ist ihm bei Tisch etwas nicht bekommen?« Es war ein schwüler Abend. Mir klebte die Tunika unangenehm an Hals und Brust.
»Der hat höchstens zuviel gegessen!« höhnte der Mann. Ich erinnerte mich an den ungezügelten Gusto, mit dem Novus neulich seinen Teller abgeleckt hatte.
»Wie lange ist das her, daß du ihn hast rennen sehen?«
»Eine Stunde etwa.«
Ich sah Hyacinthus an. »Könnte er irgendwo auf dem Klosett festsitzen – vielleicht eingenickt oder immer noch im Kampf mit dem Dünnpfiff?« Die Sklaven wechselten gelangweilte Blicke. »Hätte er nach einem von euch gerufen, wenn die Koliken gar zu arg gewesen wären?«
»Da hätte er uns höchstens angeschnauzt, wir sollen ihn allein lassen – er mag keine Zeugen, wenn seine Völlerei sich an ihm rächt. Außerdem …« – der Mann mit dem Weinkrug war ein ätzender Sozialsatiriker – »außerdem kann man da sowieso nicht viel helfen. Scheißen ist etwas, das selbst die Reichen sich von keinem abnehmen lassen können …«
Hyacinthus, der stumm dabeigestanden hatte, erwiderte meinen skeptischen Blick. »Kann nicht schaden, wenn wir mal nachsehen«, sagte er. Die übrigen verweigerten sich der Mühe, und so machten Hyacinthus und ich uns allein auf die Suche.
Wie in den meisten Häusern mit eigenen Toiletten grenzten auch bei den Hortensii die Klosetts an die Küche, damit man das aus Geschirr und Waschbecken abgelassene Wasser gleich zum Durchspülen des Kanals weiterverwenden konnte. Das Haus der Freigelassenen hatte sogar ein dreisitziges Klo aufzuweisen, aber wir fanden nur einen Benutzer vor.
Hortensius Novus war offenbar in größter Hast hineingestürzt und hatte die schwere Tür hinter sich zufallen lassen. Das Klappern aus der Küche, wo die Reste des Banketts fortgeräumt wurden, war für ihn also plötzlich verstummt, und danach war er an diesem dunklen, stillen Ort allein gewesen. Sofern er noch nüchtern genug war, um zu begreifen, was geschah, hatte ihn gewiß das nackte Grauen gepackt. Vielleicht hatte er noch um Hilfe schreien können, bevor die Lähmung einsetzte und den gräßlichen Durchfall stoppte, aber niemand hatte ihn gehört.
Es war ein qualvoller, ein menschenunwürdiger Tod, dem einzig sein rasches Eintreten einen Anflug von Barmherzigkeit verlieh.
XXIII
»O weh!« schrie Hyacinthus. Unwillkürlich wandte er sich zur Küche hin, aber ich preßte ihm die Hand auf den Mund und hielt ihn fest.
»Schlag noch nicht gleich Alarm!«
Hortensius Novus lag am Boden. Es hatte ihn mitten im Lauf erwischt, auf halbem Wege zwischen der Tür und den Latrinensitzen. Gefällt vom Tode, brauchte ihm jetzt nichts mehr peinlich zu sein. Wenn er Glück gehabt hatte, war er schon nicht mehr bei Bewußtsein gewesen, als er mit dem Gesicht auf die Fliesen schlug.
Vorsichtig trat ich näher, bückte mich und tastete nach seiner Halsschlagader, obwohl ich wußte, daß es bloße Routine war. Dann sah ich die wild verzerrte Fratze. Etwas weit Schlimmeres als heftiger Durchfall hatte ihn übermannt. Vielleicht die entsetzliche Gewißheit des nahen Todes.
Er war noch warm, wenn auch nicht warm genug, um ihn ins Leben zurückzuholen. Und ich wußte, daß das, was das Herz des Freigelassenen zum Stillstand gebracht hatte, mehr gewesen war als die Anstrengung, ein überreiches Mahl zu verdauen.
»Nun hat man ihn also doch erwischt, Falco!«
Der Sklave war fast hysterisch; ich spürte selbst einen Anflug von Panik, doch war ich oft genug in ähnlicher Lage gewesen, um die Beherrschung zu wahren. »Ruhig, Hyacinthus. Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren.«
»Das war Mord!«
»Möglich. Aber es sind schon öfter Leute an Darmkoliken gestorben … genau wie an übermäßiger Völlerei …«
Ich sagte das nur, weil ich Zeit schinden wollte, um mir den Tatort einzuprägen.
Novus hatte sein leichtes Festgewand bis zur Taille gerafft. Ich überwand mich, seine linke Hand, die mit dem Jaspis-Verlobungsring, loszunesteln, damit ich ihm die Toga runterziehen konnte. Die Toten verdienen ein gewisses Maß an Anstand.
Rasch richtete ich mich wieder auf, packte Hyacinthus am Ellbogen und schob ihn vor mir her zur Tür hinaus. Vielleicht war es noch nicht zu spät, irgendein Indiz zu finden, bevor es vernichtet wurde – entweder aus Versehen oder von jemandem, der ein persönliches Interesse daran hatte. »Hyacinthus, du bleibst da stehen und läßt niemanden hinein.«
Ein Blick in die Küche bestätigte meinen Verdacht. Das Haus war schlampig geführt. Fliegen kreisten mit trägem Besitzerstolz über den Arbeitsflächen. Aber das gebrauchte Geschirr vom Bankett, das vielleicht ein paar Indizien hätte liefern können, mußte ich gleichwohl abschreiben. Die zerzauste Dienstmagd, die für den Abwasch zuständig war, hatte gewußt, daß sie den Berg irgendwann würde abarbeiten müssen, und darum schon mal angefangen, die Essensreste von Tellern und Terrinen abzukratzen, bevor sich allzu harte Krusten bilden konnten. Als ich zur Tür reinkam, kniete sie neben einem Bottich fettigen Wassers und hatte die fertiggespülten Goldteller um sich herum gestapelt. Ich sah, wie sie nach einer riesengroßen Silberplatte schielte, in der ich das Präsent wiedererkannte, das Severina ihrem Novus bei unserem gemeinsamen Mittagessen verehrt hatte. Die müde Magd versuchte sich einzureden, das gute Stück sei sauber, fand dann aber doch einen klebrigen Fleck und tunkte die Platte lustlos in ihren Zuber.
Das Küchenmädchen war die einzige, die noch arbeitete. (Jede Küchenmagd wird Ihnen sagen, daß das immer so ist.)
Ein paar Köche und Tranchierer hatten es sich, sobald die feinen Pinkel gegangen waren, in der Küche gemütlich gemacht. Sie stocherten in den Resten herum, ganz nach der heiklen Art von Dienstboten, die wissen, daß ein Teil des Fleisches schon grün schillernd vom Metzger kam, welche von den Saucen nicht binden wollte und wie oft die Gemüse beim Putzen zwischen die Mäuseköttel auf den Boden gefallen sind.
»Wer hat hier die Aufsicht?« fragte ich barsch und schon halb gefaßt darauf, daß dies die Art schludriger Wirtschaft war, wo niemand die Verantwortung trug. Richtig geraten. Ich erklärte den Leuten, einem der Gäste sei schlecht geworden, was niemanden zu überraschen schien. Doch als ich damit rausrückte, daß es sich um ein Unwohlsein mit tödlichem Ausgang handelte, verschlug es den Burschen plötzlich den Appetit. »Falls ihr einen Hund auftreiben könnt, den niemand leiden mag, dann füttert ihn schön langsam und nacheinander mit diesen übriggebliebenen Leckerbissen …«
Ich ging zurück zu Hyacinthus. »Wir werden einen Riegel vor dieser Tür anbringen …« Das sicherte vorläufig den Tatort, und die Hausbewohner würden annehmen, das Klosett sei übergelaufen, was oft genug vorkam. »Und nun zeig mir rasch das Speisezimmer, bevor eine übereifrige Magd dort saubermacht.«
Auch in einem Haus, wo niemand die Abfalleimer leert und die Küchendielen nie geschrubbt werden, kann man seine Gäste inmitten schwelgerischer Pracht bewirten.
Die hell strahlenden Kandelaber brannten zwar langsam nieder, aber noch glänzte in ihrem Widerschein die Vergoldung der Postamente und fein kannelierten Säulen, noch schimmerten die Brokattressen an Vorhängen, Polstern und Kissen, die dem Triklinium mit seinen drei riesigen Diwanen das angemessen luxuriöse Ambiente gaben für drei parvenühafte Lampenputzer und die billigen Frauenzimmer, die sie geheiratet hatten. Mir fehlte die Zeit, um alles im einzelnen zu würdigen, aber ich erinnere mich an große Schlachtengemälde und auf Hochglanz polierte Onyxurnen. Die Gitter in der gewölbten Decke, durch die ein süßliches Parfum ins Zimmer geströmt war, das mir fast den Atem raubte, standen noch offen.
Ein kleiner Page hatte sich, einen Pfirsich in der Hand und einen Daumen im Mund, in einer Ecke zusammengerollt. Er schlief so fest und reglos, daß Hyacinthus ihn ängstlich anschubste. Doch da schreckte das Kind hoch und taumelte davon.
Ich sah mich nach Anhaltspunkten um. Hier waren die schlimmsten Spuren der häuslichen Schlamperei die Weinflecken auf den Tischdecken, mit denen sich die Waschfrau würde rumärgern müssen, und eine Lache verschütteten Lampenöls auf einem der Polsterbezüge. Ich trat ein hart gewordenes Brötchen aus dem Weg. »Wer war heute abend hier, Hyacinthus? Wie viele Familienmitglieder?«
»Es waren alle da – die drei Männer und die beiden Frauen.«
»Und Gäste?«
»Nur einer. Ein Geschäftspartner.«
»Ja, und Severina.« Machte sieben. Reichlich Ellbogenfreiheit auf den Speisesofas. »Wie sah denn die Tischordnung aus?«
»Das Triklinium ist nicht mein Ressort, Falco. Da müssen Sie den Haushofmeister fragen.« Der Haushofmeister würde sich vor Wichtigkeit spreizen wie ein Pfau (ich kannte den Typ). Er konnte warten. Ich machte die Runde durch das Zimmer, aber da war nichts, was mir ins Auge sprang. Weinkrüge und Wasserkaraffen hatte man nach dem Mahl auf Beistelltischchen stehenlassen, ebenso wie einen Haufen Gewürzschälchen und allerlei Gerät zum Mischen und Erhitzen der Getränke. Von den Speisen war nur noch ein raffiniertes Gebilde auf einem niedrigen Tisch in der Mitte übrig: ein aus Golddraht gefertigter Baum, an dem offenbar das Obst für den Nachtisch gehangen hatte. Ein paar Weintrauben und Aprikosen schaukelten jetzt noch an den filigranen Ästen und häuften sich um den zierlichen Stamm.
Ich war noch ganz in Gedanken versunken, und Hyacinthus hockte trübsinnig auf einem Diwan, als ein Mann mit Aplomb hereingerauscht kam und die Stille durchbrach.
»Es ist wer gestorben – ja?«
»Das kann schon sein«, antwortete ich düster und bedachte diese wilde Erscheinung mit einem abschätzenden Blick. Er hatte eine Halbglatze, einen breiten Mund, eine Nase, die doppelt so groß war wie die übrigen Gesichtszüge, und wieselflinke, mittelbraune Augen. Seine Statur war nicht außergewöhnlich, aber er brauchte dennoch unheimlich viel Platz, denn er hatte die ausladenden Bewegungen einer gutgeölten kretischen Windmühle, die ohne Bremstaue in einen kräftigen Sturmwind gerät. »Wer hat dir davon erzählt?«
»Ein Küchenmädchen kam mit der Nachricht zu mir gelaufen.«
»Warum? Was geht dich das an?«
Hyacinthus blickte auf. »Falls Sie denken, Novus hätte sich an den Speisen vergiftet«, sagte er mit milde amüsiertem Lächeln, »dann hat der da am meisten zu befürchten, Falco – das ist unser Küchenchef!«
XXXIV
»Novus!« Der augenrollende Küchenchef erstarrte. Er war sichtlich erschüttert.
»Nun beruhige dich erst mal! Wie heißt du?«
»Die Leute hier nennen mich Viridovix«, erklärte er förmlich. »Und wenn mein Herr wirklich vergiftet wurde – dann wollen Sie sicher mit mir sprechen!«
»Wenn du der Küchenchef bist«, bemerkte ich, »werden das die meisten, die heute abend hier gegessen haben, tun wollen.«
Die Hortensius-Sippe war wirklich eine Bande von neureichen Aufsteigern: Die Tatsache, daß sie einen gallischen Koch beschäftigten, lieferte den endgültigen Beweis.
Seit nunmehr hundert Jahren versuchte Rom, die Gallier zu zivilisieren, und mittlerweile waren wir vom Völkermord, wie Julius Caesar ihn praktiziert hatte, dazu übergegangen, die Stämme mit Annehmlichkeiten gefügig zu machen, was für das Schatzamt kostengünstiger kam: Wir lieferten ihnen Keramikgeschirr, italische Weine und die Feinheiten demokratischer Regierung. Im Gegenzug füllte Gallien Roms Künstlerateliers erst mit lebenden Modellen, die darauf spezialisiert waren, als sterbende Barbaren zu posieren, und überschwemmte uns später mit einer Flut von begriffsstutzigen Mittelklassebürokraten vom Typ des Agricola. Viele prominente Gallier stammten aus dem Forum Julii, das sich mit einer sogenannten Universität schmückte – und mit einem Hafen, wo man sich leicht nach Rom einschiffen konnte.
Es mag ja sein, daß die drei unwirtlichen gallischen Provinzen eines schönen Tages ihren Beitrag zu Kultur und Zivilisation leisten werden – aber kein Mensch kann mich davon überzeugen, daß dieser Beitrag ausgerechnet auf dem Gebiete der Kochkunst liegen wird. Trotzdem habe ich nie angenommen, daß Hortensius Novus sterben mußte, weil sein Koch aus Gallien kam. Zwar war es ziemlich sicher jenes letzte Nachtmahl, das ihn umgebracht hatte – aber der Koch hatte nichts damit zu tun.
Als erstes mußte ich jetzt Viridovix beruhigen, was sich vielleicht ohne Publikum leichter bewerkstelligen ließ. Also gab ich Hyacinthus einen Wink, und er verschwand diskret.
»Ich bin Didius Falco. Ich untersuche diese Tragödie – und nachdem ich den Leichnam deines Herrn gefunden habe, brauche ich, ehrlich gesagt, dringend was zu trinken! Und nach der Schreckensnachricht, daß Novus vergiftet wurde, wirst du mir sicher gern Gesellschaft leisten – versuchen wir also, eine Amphore aufzutreiben, an der niemand rumgedoktert hat …«
Ich hieß ihn sich setzen, damit er zur Ruhe kam. Die Flasche, die ich auswählte, war ein elegantes Gefäß aus himmelblauem kannelierten Glas mit silberglänzendem Schliff – das sah ganz nach einem besonderen Jahrgang aus, den man eigens für die Trinksprüche nach Tisch aufgehoben hatte. Der Korken war schon gezogen, damit der Wein atmen konnte. Die Amphore war noch bis zum Rand mit bernsteinfarbenem Göttertrunk gefüllt; offenbar hatte die Tischgesellschaft diesen Hochgenuß übersehen. Ich wagte die Prognose, daß vermutlich alles, was der gesamten Tafelrunde zugedacht war, ungefährlich sei. Das Risiko war hoch, aber Viridovix schien arg mitgenommen, und ich war schier am Ende.
»Hier, das wird uns gut tun!« Der Wein war dickflüssig wie Nektar und anscheinend schon sehr alt. Ich trank ihn pur, aber Viridovix bat um Gewürze. Ein Schälchen aus passendem blauen Glas stand griffbereit neben der Flasche, und in der Annahme, daß ein Koch Aroma zu schätzen wisse, leerte ich den ganzen Inhalt – Myrrhe und Kassia, dem Duft nach zu schließen – in seinen Becher.
Nach dem ersten Schluck schon war mir klar, daß mein Freund und Weinkenner Petronius diesen Tropfen hätte verkosten sollen. Es war, wenn ich nicht völlig danebentippte, ein gut fünfzehn Jahre alter Falerner. Ich erkannte ihn daran, daß er mir wie flüssiges Glas durch die Kehle rann, und an dem warmen, prickelnden Nachgeschmack. Petro verwöhnt mich an seinem Geburtstag mit altem Falerner; er sagt zwar jedesmal, es sei eine Verschwendung, diesen edlen Rebensaft in einen Trottel wie mich reinzuschütten, aber man solle Falerner eben nicht allein trinken (eine Philosophie, die ich nach Kräften unterstütze).
Wir nahmen jeder einen kräftigen Schluck. Der Koch sah gleich nicht mehr so blaß aus. »Besser? Viridovix, es stimmt zwar, daß Novus tot ist, aber dir wird bestimmt niemand einen Vorwurf machen – es sei denn, du hättest schlecht mit ihm gestanden.« Ich wollte den Koch daran erinnern, daß beim gewaltsamen Tod eines freien Bürgers der Verdacht als erstes auf seine Sklaven fällt; aber ich wollte ihm auch Hoffnung auf meinen Beistand geben, falls er unschuldig war. »Das Beste, was du tun kannst, um deine Unschuld zu beweisen …«
»Ich habe nichts Unrechtes getan.«
»Das ist mir klar.«
»Aber andere sind vielleicht nicht Ihrer Meinung?« Sein Sarkasmus gefiel mir.
»Sie werden mir zustimmen, wenn ich den wahren Mörder finde.« Viridovix blickte skeptisch drein. »Ich hatte den Auftrag, dieses Unglück zu verhindern«, brummte ich. »Es steht also nicht nur dein Ruf auf dem Spiel, mein Freund.«
Meine gedrückte Stimmung überzeugte ihn schließlich. Wir tranken jeder noch einen ordentlichen Schluck, und dann überredete ich ihn, das Menu mit mir durchzugehen. Viridovix war offenbar ein sehr gewissenhafter Mensch, der obendrein stets auf Unbill gefaßt war, denn er trug die Speisekarte, notiert auf einem Pergamentfetzen, noch immer in einem Beutelchen an seinem Gürtel.
»Und wer«, fragte ich, »hat sich dieses vornehme Menu ausgedacht?«
»Ich selbst«, prahlte Viridovix, setzte aber dann hinzu: »Mit Hilfe einiger Anregungen von Severina Zotica …«
Ich war noch nicht soweit, mich mit Zotica zu befassen. »Und war der Abend ein Erfolg, Viridovix?«
»Gewiß doch!«
»Deine Kreationen fanden Beifall?«
»Gute Zutaten.« Er zuckte die Achseln. »Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Und ich habe freie Hand, von allem das Beste einzukaufen.« Der Mann war offenbar gewissenhaft. Ich leistete im stillen Abbitte für meinen Witz über grün schillerndes Fleisch. Damit schied aber auch die Möglichkeit, sein Herr habe sich vielleicht aus Versehen an einer verdorbenen Speise vergiftet, endgültig aus.
Ich las die Speisekarte noch einmal und stellte dem Koch weitere Fragen, nicht alle davon beruflicher Natur.
»Was sind ›Austern Hortensius‹?«
»Dazu werden die Austern in einer leichten Sauce aus Weißwein, Lorbeerblättern, Wacholderbeeren und Liebstöckel geköchelt …«
»Ist das wirklich ein Rezept der Familie?«
»Das ist mein Rezept!« korrigierte er mich. Natürlich, Snobs wie diese Freigelassenen würden nicht dulden, daß man ihren Gästen das Gericht eines gallischen Sklaven vorsetzte. Viridovix lieferte die schöpferische Phantasie; sie steckten das Lob dafür ein.
»Bei Pilzen ist man ja heutzutage sehr vorsichtig.« Ich spielte auf die niederträchtige Ermordung des Kaisers Claudius durch seine Gattin an. Aber Viridovix, der seinen Becher schon fast bis zum Grund geleert hatte, rümpfte nur die Nase. »Hat Minnius das Gebäck geliefert?«
»Wie gewöhnlich, ja. Seine Sachen sind nicht schlecht, und er macht uns einen Sonderpreis.«
»Weil einer der Freigelassenen ihm den Stand verpachtet?«
»Ich weiß nicht, warum. Ich bin hier nur der Koch.«
»Wie ist das eigentlich passiert?«
»Ich war Kriegsgefangener, und Novus hat mich gekauft.« Viridovix grinste verschmitzt. »Der Sklavenaufseher hat nämlich behauptet, ich sei ein Stammesfürst.«
»Was für ein Snob!«
»Ihm schmeichelte die Vorstellung, daß ein gefallener Prinz ihm den Haferbrei umrührt.« Er sagte das ohne Bitterkeit; mir gefiel der Ton, mit dem er sich über den ordinären Dünkel seines Herr mokierte.
»Und, bist du wirklich von Adel?« Er lächelte still vor sich hin. »Sei’s drum, vielleicht bist du tatsächlich einmal was Besseres gewesen als Koch … Ist es dir schwergefallen, dich hier einzugewöhnen?«
»Das ist mein Leben, ich muß mich damit abfinden«, sagte Viridovix ruhig.
»Demnach strengst du dich also an in deiner Küche?«
»Das ist meine Arbeit – wenn schon, dann will ich sie auch gut machen«, erklärte er mit der Würde des angeheiterten Zechers.
»Das Grundrecht jedes Individuums!« Ich war offenbar auch schon betrunken. Mir fiel auf, daß er die gleiche protzige Livree anhatte wie Hyacinthus, überladen mit grellbunten Tressen. Aber als Koch trug er obendrein noch einen getriebenen Silberreif um den Hals. »Hat man dir dieses Halsband in der Gefangenschaft mitgegeben?«
»Kaum! Das hat der Herr extra angeschafft.«
»Als aparten Farbtupfer? Darf ich aus der Festtagsgala schließen, daß du das Servieren persönlich überwacht hast?«
»Schlecht tranchiert, wird selbst der beste Braten zum Reinfall.«
»Ich wollte eigentlich den Haushofmeister fragen, wer was gegessen hat.«
»Davon hat der doch keine Ahnung«, sagte Viridovix abfällig.
»Aber du hast darauf geachtet?« forschte ich. »Du weißt bestimmt noch, wovon jeder genommen hat und was er auf dem Teller ließ!«
Er sah mich geschmeichelt an und beantwortete dann gnädig meine Frage. »Ich würde sagen, jeder hat fast von allem probiert. Pollia ließ sämtliche Krümel, die sie für Knorpel hielt, liegen; Felix schnipselte alle Fettränder ab; der Gast schob den ganzen Abend lang die Speisen auf dem Teller hin und her …«
»Hatte er einen Grund?«
»Ach, der Mann versteht nicht zu essen.«
»Oder zu leben!« rief ich, mit einem bezeichnenden Blick auf das Menu.
Viridovix ließ sich das Kompliment gefallen. »Sie sagen es! Novus verdrückte wie gewöhnlich riesige Portionen und verlangte dann noch Nachschlag. Aber was sie aßen, hat keiner von denen wirklich gemerkt.«
»Enttäuscht?«
»Ach, in diesem Haus ist das ganz normal, Falco.«
»Und wurmt dich das?«
»Nicht genug, um mir Mordgedanken einzugeben«, erwiderte Viridovix verschmitzt.
»Nach meiner Theorie morden Köche nur, wenn sie sich an den glühenden Öfen überhitzt haben – dann laufen sie mit Fleischmessern Amok.«
»Gift wäre jedenfalls höchst unprofessionell für unsereinen!« Er lächelte wieder.
»Sag, du bist doch ein aufmerksamer Beobachter – war von den Anwesenden jemand besonders nervös?« Ich vermied es tunlichst, Severina Zoticas Namen zu erwähnen.
»Das waren sie alle«, antwortete er prompt.
»Sogar Novus?«
»Der ganz besonders.« Das überraschte mich.
»Und was war der Grund für diese allgemeine Reizbarkeit?« Sein breites gallisches Lächeln strahlte Intelligenz aus und Charme. Ich lachte. »Oh, tut mir leid! Natürlich kennst du die näheren Umstände nicht – du bist ja bloß der Koch!«
»Ach, Köche sind ganz Ohr, wenn ihre Gerichte verzehrt werden.«
»Willst du mir sagen, um was es ging?«
»Um ein Geschäft, dessentwegen dieses Essen stattfand.«
Ich wartete. Er hatte ein gutes Gespür für Effekte. »Ich glaube, man wollte eine neue Partnerschaft gründen.« Diesmal grinste er mich unverhohlen an.
»Welche Art von Geschäft?«
»Immobilien.«
»Und hast du Einzelheiten mitbekommen?«
»Nein, Falco. Als sie zur Sache kamen, wurden wir alle hinausgeschickt. Aber ich nehme doch an«, setzte Viridovix ruhig hinzu, »daß Sie wissen möchten, ob ich Hortensius Novus etwas habe essen oder trinken sehen, das außer ihm niemand anrührte?«
»Ich wäre vermutlich noch draufgekommen, ja.«
Der Koch enttäuschte mich. »Nichts!« sagte er. »Die meisten haben fast alles gekostet und jedenfalls sämtliche Weine probiert. Wenn Gift im Essen war, dann sind sie jetzt alle tot. Die Servierer waren sehr aufmerksam, und außerdem wetteiferte die ganze Tafelrunde, ihren jeweiligen Nachbarn Leckerbissen zuzustecken.«
»Also ein Abend wie aus der Benimmschule?«
»Eitel Freundlichkeit. Zu viel davon, wenn Sie mich fragen.«
»Die Stimmung war also im großen und ganzen friedlich?«
»Es schien so, ja, trotzdem knisterte es vor Spannung. Ich hatte schon Angst, die Servierer könnten davon angesteckt werden und womöglich etwas fallenlassen. Ach ja, sie hatten auch einen Harfenisten engagiert, der aber bezahlt und weggeschickt wurde, ohne daß man ihn spielen ließ. Die Tafel wurde schon ziemlich früh aufgehoben.«
»Und hast du gesehen, was dann weiter geschah?«
»Natürlich! Wir warteten doch darauf, abzuräumen. Crepito und Felix standen eine ganze Weile mit ihrem Gast im Portikus …«
»Und sie redeten immer noch übers Geschäft?«
»Mit gedämpfter Stimme – Novus hatte anscheinend etwas getan, worüber die anderen geteilter Meinung waren. Dann hörte ich, wie jemand vorschlug, noch ein paar Becher zu trinken, aber daraus wurde nichts. Der Gast sagte, er habe noch etwas zu erledigen. Als er gegangen war, steckten Crepito und Felix eifrig die Köpfe zusammen und verschwanden dann bald.«
»Guter Dinge?«
»Das würde ich nicht sagen, nein.«
»Und wo war Novus?«
»Der hatte sich schon vorher verzogen.«
»Mit Severina Zotica.«
»Nein«, sagte der Koch. »Ach, das hätte ich Ihnen schon längst sagen sollen – Severina Zotica war überhaupt nicht da!«
In dem Moment hörte man Schuhe über den Marmor schlurfen. Viridovix legte mir warnend die Hand auf den Arm. Ich drehte mich um. In der Tür stand, von einer Wolke aus Knoblauch und Weihrauch umschwebt, ein Mann, der ohne Zweifel zum Hortensius-Triumvirat gehörte.